Sonnenuntergang in Mittelfranken.

Sonnenuntergang in Mittelfranken.

Es sollte ein entspannter Sonntag werden. Aufstehen um 10 Uhr, dann ein Stündchen Sport und nach der Körperpflege sollte ein Geburtstagsbrunch bei einer Bekannten um 12:30 h den Tag lukullisch fortführen.

Stattdessen wurde es etwas hektisch. Ich hatte den Wecker nicht gestellt.  Das kommt am Wochenende  öfters vor. Nach dem ersten Öffnen der Augen zeigten rote Ziffern 11:35 h. Schock! Sofortiges Aufstehen, Sprint ins Bad, parallel telefonisch mit den anderen Gästen die Anreise zum Brunch abklären.

Ausgehungert und nach Kaffee dürstend traf ich am Ort des Geschehens ein. Die Begrüßung durch die sehr nette Gastgeberin war herzlich und sofort wurde mir ein Sekt zum Anstoßen auf das Geburtstagskind gereicht. Und Prost! Die morgendliche Aufregung hatte sich danach sofort verflüchtigt.

Die Gastgeberin hatte wirklich alles aufgefahren, was zu einem epischen Brunch gehört. Nach dem ersten Kaffee füllte sich mein erster Teller schnell mit den zahlreichen Leckereien. Ich sah mich um. Überall gutgelaunte Leute im Gespräch, beim Essen, beim Rauchen, beim Trinken, beim Lachen. Sehr gut.

In einer dunklen Ecke der Party-Location sah ich zwei dunkle, etwas kurze Gestalten stehen und leise kommunizieren. Erst hielt ich sie für Zwerge, konnte aber weder Zipfelmützen noch Bärte entdecken.
Tatsächlich handelte sich um zwei ins Rheinland zugewanderte Frauen, also sogenannte Immis.

Wir kamen ins Gespräch und handelten zunächst die üblichen Verdächtigen ab, also woher ich und sie die Gastgeberin kannten, das umfangreiche Angebot an schmackhaften Lebensmitteln auf dieser Party, wie dieses Angebot bestmöglich dezimiert werden könnte, Karneval, Freud und Leid im Job und mögliche Urlaubsziele. Die Beiden waren sehr unterhaltsam und ich unterstellte ihnen sofort Teilzeitschlumpfambitionen und Karnevalsaffinität mit Suchttendenzen. Zumal beide bereits eifrig die möglichen Kostümvarianten diskutierten.

Bald verspürte ich allerdings ob des Höhenunterschieds und starken Neigen des Kopfes nach vorne ein Ziehen im Nacken und beschloss, mich hinzuknien. Auch wenn das im Umfeld einige fragende Blicke nach sich zog. Dies sollte den Nacken entlasten und ich konnte nun auf Augenhöhe weiter diskutieren.

Diese Verlagerung des Gesprächs auf Augenhöhe hatte zunächst weiteres Gelächter der Mädels zur Folge. Auch schien sich die Gesprächsatmosphäre zu ändern. Irgendwas kam mir vertraut vor. Ich blickte die beiden zum ersten Mal auf Augenhöhe an und fragte mich, was so vertraut wirkte.

Hinter großen, schwarzumrandeten, Brillengläsern blickten mich zwei tiefschwarze Augen mit rötlichen Pupillen an. Und jetzt erst konnte ich in ihrer Sprache die Reste eines Dialektes vernehmen, den ich jahrelang täglich zu hören bekam, und den ich seit meinem Wegzug aus dem Land der Leere, direkt hinter den öden Landen Mordors, nicht vermisst hatte.

Ich fragte die Schwarzhaarige mit schwarzer Brille, aus welchem fernen Lande sie nach Köln zugewandert war. Ihre Antwort war eine Überraschung. Sie stammt aus Franken, aus der Umgebung Würzburgs. Dort wo sich Winzer und Orks beim Bocksbeutel sanft gute Nacht sagen. Auf Fränkisch. Also Frängisch, wenn der aufmerksame Zuhörer solche sprachliche Feinheiten wahrnehmen sollte. Wobei sanft und fränkisch keine gemeinsame Schnittmenge haben. Null. Ich weiß das, ich habe mehrere Jahre in Franken gearbeitet und gelebt. In Mittelfranken.

Mittelfranken, da wo sich Einwohner und temporär Zugewanderte selten gute Nacht sagen. Weil der Mittelfranke nicht gern spricht. Schon gar nicht mit Auswärtigen. Reden wird durch Handeln ersetzt. Zum Beispiel handelt der Mittelfranke an Karneval, dann wenn die tollen Tage kommen. Als langjähriger Bewohner dieser Landschaft wurde ich mehrfach Zeuge, wie der Franke zu dieser Jahreszeit aus sich hinaus und ins Koma hinein strebt. Und zwar freudig erregt. Der bevorstehende, durch fränkische Getränke ausgelöste Systemkollaps ist bereits Wochen vorher Thema Nr. 1 in der innerfränkischen Kommunikationen verbaler und nonverbaler Art. Der Rheinländer macht das Gleiche, aber mit dem Thema Karneval. Aber mit wesentlich mehr Worten und einem anderen Dialekt. Soweit der Exkurs zum Frankenland.

Die Fränkin berichtete über ihren Auszug aus dem Fränkischen und dem Einfall ins Rheinland vor einigen Jahren. Der Beruf hatte sie hierher gebracht. Und der Aufenthalt und der Austausch mit den Rheinländern hatte die harten Ecken ihrer Heimatsprache etwas abgeschliffen. Zumindest vermutete ich dies.

Bewusst hatte sie das Frankenland hinter sich gelassen und wollte auch nicht wieder dauerhaft dorthin zurückziehen. Beim Hören dieser eindrucksvollen Fakten war mir sofort klar, dass ich es hier mit einer Ausnahmefränkin zu tun hatte. Sie hatte die Entscheidung getroffen aus Franken wegzuziehen. Fränkin, Bewusst und Wegziehen. Diese ungewöhnliche Kombination, bewusst Groß geschrieben, war mir im Zusammenhang mit dieser zahlenmäßig kleinen Flüchtlingsgruppe mit nur rudimentären Deutschkenntnissen bisher nicht begegnet. Ihre Freundin hatte sich derweil schon längst aus dem Gespräch ausgeklinkt. Zuviel fränkische Themen.

Ich brauchte drei Schlucke Weißwein, um diese Fakten zu sortieren. Diese Fränkin war lustig, sie lachte, sogar mehrmals. Ohne hörbaren Akzent. Und es gab immer ein paar gute Gründe zu lachen. Es gibt nämlich ziemlich viele Geschichten über das Frankenland, die mit einer unfreiwilligen Pointe enden.

Sachlich haben wir noch die Begriffe Heimat und Herkunft und den Versuch, diese abzuschütteln, andiskutiert. Und wie sich ein Mensch mit der Umgebung, in der er lebt, verändert. Da kommen einige fundierte Vorurteile erst zum Vorschein und dann ins Wanken. Dann verabschiedete sich die frängischen Immigradin` um umfangreiche Vorbereitungen für den Karneval und den nächsten Urlaub anzugehen.

So war meine erste Begegnung mit einer sehr netten Fränkin in Köln. Ein lustiges Gespräch, dass mir wie eine Zeitreise vorkam.