Nein, du bist nicht gut genug.

Nein, du bist nicht gut genug.

Da wohnt man zig Jahre im Stadtviertel der Wahl und plötzlich scheint alles aus den Fugen zu geraten. Eines müden Morgens gehe ich, wie schon hunderte Male zuvor, zum Kiosk und gleichzeitig morgendlichen Espressoversorger meines Vertrauens. Die Uhr zeigt 7:00, der Laden öffnet. Sofort entern die ersten Stammkunden den Laden. Mein Körper ist noch nicht ganz im Betriebsmodus. Am Eingang hängt prominent irgendein Poster, das Gestern mit Sicherheit noch nicht da war.

Erst mal einen GutenMorgenMagensprengerEspressoDoppio für 2 € und eine allgemeine Zeitung holen. Beim Rausgehen fällt wieder der Blick auf das Poster, diesmal mit eingeschaltetem Verstand. Ich überfliege den Text, lese Vielen Dank, …Abschiedsfete, …neuer Standort?? Waaaaaas?? Der Kiosk macht dicht bzw. zieht um! Nachfrage bei der kompetenten Espressomaschinistin hinterm Tresen. Und tatsächlich: Die Eigentümer haben den türkischstämmigen Inhabern gekündigt. Wollen selber rein und in den Reibach machen. Die Schweine. Schock am Morgen.

Wie oft war ich schon hier am Morgen, um den Tag mit einem harschen Doppio zu beginnen? Sinn suchend, bevor das Taxi zum Flughafen bestiegen wurde zum Flug in die Leere des Alltags? Samstags ausschlafen, dann direkt den Espresso mit Zeitungsbeilage geholt. Und das lächelnde Guten Morgen der Inhaberin abgeholt. Und manchmal noch einen kleinen Plausch über dies und das. Schade. Nein, viel mehr als das.

Wochen sind seit dem letzten Besuch des ehemaligen Stamm-Kiosks vergangen. Der Laden ist inzwischen komplett renoviert und innen wie außen viel bunter geworden. Ich werde von einer harschen Brünetten mit einem abschätzigen Blick begrüßt. Ich ordere einen Doppio. Was sonst? Sie weiß offenbar, was damit gemeint ist und dreht sich um zur neuen fancy Hochglanzespressomaschine. Aber sie fremdelt sichtbar mit dem mächtigen Technikuntensil.

Arrogant denke ich mir, „DAS war ja klar!“. Ich sehe mich um. Der Laden ist völlig neu aufgebaut und wirkt auf eine sterile Art hell. Die Zigaretten werden jetzt viel prominenter präsentiert. Eingerahmt von einem innen beleuchteten, sehr großzügigen weißen Schrank empfiehlt sich das Lungenbrot jetzt positiv-lebendig. Das gefällt den sehr aufwendig gepflegt wirkenden zwei weiblichen Mittvierzigern, die sich an ihren übergroßen Latte-Bechern festhaltenn und angeregt unterhalten. Beide nutzen offenbar dieselben Kosmetika, besuchen denselben Friseur und wirken auf sehr alberne Art affektiert. Auf dem Tresen liegen jetzt diverse Wohlfühlmagazine für die modernen, coolen, urban angetörnten Design-Fuzzis unserer Tage.

Bedienung Nummer Zwei hinterm Tresen, eine zurückhaltend (oder unsicher?), um sich blickende blonde Frau um die 30, würde gut in eine Naturheilpraxis für Wohlhabende passen. Ich schäme mich für mein mieses Schubladendenken und lächele dieser Tussenansammlung breit entgegen. Einen Moment überlege ich, einen Anruf bei einer wirklich netten Kosmetikerin in der Nachbarschaft zu faken und lautstark einen Termin zur Mani- und Pediküre und zum (hoch-)toupieren meiner Haare zu vereinbaren. Nein, das wäre zu viel des Guten. Vor drei Tagen wurden die Haare wieder auf luftige 3 Millimeter gekürzt. Ein Gefühl der Freiheit im und rund um den Kopf ist die Folge.

Der Doppio ist fertig. Wortlos und ohne Bitte sehr bekomme ich den Pappbecher über den Tresen geschoben. Der erste Eindruck bei der Geruchsprobe: unendschieden. Nicht wirklich bitter, nicht wirklich würzig. Die Crema hält sich nach dem Zufügen von einem halben Löffel Zucker noch zwei, drei Sekunden und versinkt dann schlagartig in der dunklen Tiefe.

Der erste Schluck, die Rezeptoren im Mund tun ihre Pflicht. Die Botschaft: Das erhoffte Geschmackserlebnis bleibt aus. Wenn ich alles zusammen betrachte, und positiv gestimmt bin, würde ich sagen: Durchschnittlich. Das ist nicht mehr „ok“. Das ist deutlich zu wenig. Ein Standortwechsel meinerseits ist jetzt folgerichtig und fällig. Ein durchschnittlicher Espresso am Morgen: Nein Danke! Für so etwas bin ich zu alt. Es wird Zeit, eine neue morgendliche Anlaufstelle zu finden. Deckel drauf und tschüss.