Ich bin nicht gerade experimentell veranlagt. Auch Kurzschlusshandlungen sind die Ausnahme. Kürzlich habe ich allerdings fristlos beschlossen, meinem Leben eine neue Richtung zu geben und etwas Ballast abzuwerfen. Der Grund: Ich konnte das Schweigen nicht mehr ertragen.
Meine Wohnung erblühte nun schon bald im dritten Jahr voller Leben. Die einst weißen Wände färbten sich teilweise grün, teilweise schwarz. Menschen, Sachverständige, fremdsprachige Handwerker gingen zahlreich ein und aus, erfreuten sich am Anblick der blühenden Landschaften und beratschlagten über Maßnahmen zur Beendigung der bunten Blüte. Viele Möglichkeiten wurden gemurmelt, Vorschläge verschriftlicht und konspirativ den Eigentümern der blühenden Landschaften übergeben. Ich lernte, dass sich jeder Mensch unabhängig von seiner Qualifikation Sachverständiger nennen kann, es weiße und schwarze Kostenvoranschläge gibt und Gutachten überflüssig sind, weil sie im Nirwana verschwinden.
Die Pointe: Die Wohnungseigentümer sind Mönche. Diese hatten feierlich ein Schweigegelübde abgelegt und kümmerten sich grundsätzlich nicht um weltliche Dinge. Sie sahen die Lebewesen, die in ihren vermieteten Wänden heranwuchsen, als durch das Schicksal vorherbestimmt und Teil der Evolution. Und diese darf der Mensch nicht verändern. Auch eine Einstellung.
Briefe, Kurznachrichten, lyrische Schreiben von Rechtsgelehrten erreichten das stille Kloster – doch nichts konnte die Stille aufbrechen. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. So schien es.
So kämpfte ich mir den Weg aus dem Dschungel mit der Machete frei und verließ den Dschungel fristlos. Große Erleichterung erfüllte mich. Ungeplant und überraschend führte mich der Weg aus dem Dschungel hinauf zu den Sternen. Ein einmaliges Experiment begann.
Jetzt sitze ich mit einer Frau, die ich erst vor Kurzem kennengelernt habe, in einer mittelgroßen Raumkapsel mit kompakten 43 qm Wohn-, Schlaf-, und Arbeitsfläche. Das Experiment wird ausgerichtet vom Interstellaren Institut für Grundlagenforschung zu grundsätzlichen Fragen der Mann zu Frau und Frau zu Mann-Beziehungen in Köln-Wahn unter der Leitung von Professor Dr. Dünne-Birnenscheiben. Die Testphase ist auf etwa sechs Wochen Dauer angelegt. Je nach Verlauf kann der Zeitraum verlängert oder verkürzt werden. Beide Teilnehmer, die nette Frau und Ich sind nach Beurteilung der Wissenschaftler einander leicht positiv zugetan.
Das Experiment soll Antworten auf die großen Fragen der Menschheit liefern:
- Können eine Frau und ein Mann auf engstem Raum und damit ohne nennenswerte Rückzugsmöglichkeit, miteinander wertschätzend auskommen?
- Welche Einfluss haben langjährig eingeübte Essgewohnheiten, die hygienischen Bedingungen in der Kapsel und die unausgesprochenen, gegenseitigen Erwartungen aneinander, auf den Verlauf der Beziehung in der Unendlichkeit des Alls?
- Wie verhalten sich die Testpersonen in Extremsituationen, wie einem Ausfall der Spülmaschine oder unterschiedlichen Ansichten über die Freizeitgestaltung?
Zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades beginnt die erste Phase in der Fastenzeit. Sie übt sich in Alkohol-Fasten, pflegt ein reges Sozialleben und trifft jeden Tag andere Astronautinnen zum Meinungsaustausch. Er übt sich im Alkohol- und Süßigkeiten-Fasten und zieht sich am Abend zur Meditation auf die kleine und einzige Couch im noch kleineren Wohnbereich der Kapsel zurück. Ein Bereich, den Sie natürlich auch zur alleinigen Nutzung beanspruchen wird.
Die Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen für die beiden Testpersonen sind vom Institut festgelegt: Die Kapsel ist auf weibliche Astronauten ausgelegt. Der männliche Astronaut ist nur Gast und kriegt kleinere Bereiche der Kapsel zur Nutzung zugewiesen. Ein Plan zur regelmäßigen Reinigung aller Bereiche ist ebenfalls vorgegeben. Der männliche Astronaut soll nach Möglichkeit immer unbekleidet die regelmäßigen Reinigungsarbeiten durchführen. Während dieser Arbeit messen Sensoren, ob sich die Stimmung der Astronautin hebt oder senkt. Körperliche Übergriffe sind streng verboten.
Ich finde mich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Ort fernab all der gewohnten materiellen und ideellen Ablenkungsmöglichkeiten wieder. Diese haben das Leben für mich sehr angenehm gestaltet. Diese Annehmlichkeiten können aber auch von wesentlichen Dingen ablenken.
Kurz gesagt: für mich ist Umstellung angesagt. Die Luft ist dünn hier oben. Der Verlauf der Reise ist offen. Und alles passiert auf engstem Raum. Für Jemanden, der in jeder Hinsicht Platz zur Entfaltung und Freiraum braucht, kann das schnell haarig werden. Ich werde direkt aus dem All über den Fortgang der Reise berichten. Schnallt euch an.
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