„Wir strecken die Beine laaaangsam wieder nach hinten aus und fühlen rein in den Unterbauch.“
Ich soll wo reinfühlen? Ich fühle, dass der Krampf in der rechten Wade langsam nachlässt. Und zwar sehr langsam. Wahrscheinlich krampft es sofort wieder, wenn ich die Beine wieder nach hinten ausstrecke. Meinen Unterbauch kann ich in diesem Moment nicht mal lokalisieren. Habe ich überhaupt einen Unterbauch?
Um mich herum strecken viele Frauen und sehr wenige Männer die Beine langsam nach hinten aus. Die Frauen haben enge, bunte Fitnessklamotten an, sind barfuß und machen diese Übung offenbar nicht zum ersten Mal. Das sieht locker-flockig aus. Ein Fuß-Fetischist würde sich in diesem Kurs sehr wohl fühlen.
Von links nähert sich mir ein Fuß mit rot lackierten Nägeln an einem lila-blau gemusterten Fitness-Bein. Das Gesicht der Fuß-Eigentümerin grinst mich an. Ihr Gesicht ist heftig geschminkt. Die Augenbrauen sehen aus wie schwarze Balken. Der Mund ist knallrot, die Zähne weiß-weiß. Wenn nicht hell-weiss. Ich versuche zurück zu grinsen, schneide aber bestimmt nur eine Schmerzgrimasse. Das ist also der Grund, warum Frauen regelmäßig zur Maniküre und Pediküre gehen.
„Hebt jetzt das rechte Bein seitlich an. Fühlt die Anspannung des Muskels.“
Der kleine, muskulöse Zwerg da vorne redet, als ob er was geraucht hat. Das ist doch alles Eso-Scheiß. Er schwitzt nicht mal. Diese Personal-Trainer haben alle einen supertollen Körper und sehen im Gesicht ziemlich alt aus. Wahrscheinlich haben sie ihr Gesicht dem Teufel vermacht und dafür im Tausch einen durchtrainierten Fitness-Körper erhalten. Der niemals altert. Dafür lenkt der Teufel boshaft die Alterung des Körpers auf das Gesicht um. Das Ergebnis sind fitte Gesichtsbaracken. Das ist kein gutes Geschäft aus meiner Sicht.
Mein Körper ist erfüllt von Schmerz, vermischt mit etwas Taubheit in den Waden. Der Schweiß tropft vom Gesicht auf diese eklige Gummimatte unter mir. Bestimmt sind auf dieser stinkenden Matte schon viele gute Typen gestorben, weil sie ihrem Herzblatt in einen Fitnesskurs folgen mussten. Oder wollten. Nur um zu gucken „wie so ein Fitnesskurs wohl ist.“
Mein rechtes Bein zittert. Glaube ich. Ich will jetzt aber nicht nachgucken, weil ich dazu den Kopf etwas drehen müsste. Und das könnte bedeuten, dass mir wieder schwarz vor Augen wird. Das erste Mal vor ein paar Minuten konnte ich noch kaschieren, indem ich so tat, als ob ich mir die Brille putzte. Wenn mir schon schwarz vor Augen ist, will ich das Schwarze wenigstens deutlich sehen.
Was war das? Ein dumpfes Geräusch. Der ältere Mann mit schütterem weißen Haar und schweißgetränktem grauen Shirt ganz rechts vor der Spiegelwand hat sich unfreiwillig abgelegt. Mit dem Kopf zuerst. Einbeiniges Beinheben inklusive reinfühlen kann zu Stabilitätsproblemen führen. Sein Kopf war bereits von der ersten Minute dieses Kurses an hochrot. Warum macht er diesen Quatsch mit? Männer machen überwiegend stumpfes Hanteltraining. Frauen lieber einen Super-Body-Shape-Yoga-Fühl-in-dich-hinein-Kurs. Als Beobachter bin ich richtig hier, als Teilnehmer falsch.
Er keucht. Eine junge Frau mit Pferdeschwanz in einem gelb-schwarzen Skinny-Body-Fitnessanzug ist bei ihm und fragt, ob alles ok ist. Nein, ist es nicht kleine Biene Maja. Der Trainer geht zu ihm, hilft ihm beim Durchatmen und redet salbungsvolle Wort zur Linderung seiner Erschöpfung. Der alte Mann nickt und legt sich dann auf den Rücken. Wahrscheinlich stellt er sich tot, damit er die restlichen Übungen nicht mehr machen muss. Weichei.
Ich nutze die Unterbrechung und Ablenkung und lege mich sofort flach auf den Bauch. Naja, es ist eher ein fallen lassen als ein hinlegen. Aber jede Sekunde Entspannung zählt in diesem feindlichem Umfeld. Das Aroma der Matte steigt mir in die Nase. Schweißnasses Gummi gemischt mit dem typischen Geruch vieler Füße, die schon über diese Matte gewandert sind. Urrggh. Also lieber hinsetzen und etwas Abstand zur Unterlage bringen. Sonst fühle ich noch spontan in meinen Magen rein und der Reihermann kommt mir auf halbem Weg entgegen. Ich gehe in den Schneidersitz und greife nach meiner Wasserflasche rechts neben mir. Alle, verdammt. Kaum im Schneidersitz, fangen die Waden wieder an zu krampfen.
„Jetzt geht in den Vierfüßlerstand, senkt den Kopf bis das Kinn auf der Brust ist und verharrt einen langen Moment. Spürt die Energie und Ruhe in euch.“
Statt Ruhe spüre ich jeden Muskel in meinem Körper. Und zwar schmerzhaft. Alles tut weh. Da ist nicht mehr viel Energie übrig. Alle haben den Kopf auf dem Kinn, die Augen geschlossen und fühlen die Energie und Ruhe. Nur ich hocke im Schneidersitz, ertrage meine krampfenden Waden und sehe über die bunten Rücken hinweg auf die verspiegelte Wand gegenüber.
Sehe ja schon etwas fertig aus. An den Seiten sind die Haare schon zu lang. Die Ohren müssen auch frei bleiben. Und den Bart müsste ich auch mal wieder stutzen. Die grauen Haare im Bart sehen aus wie die Verlängerung der Schneidezähne. Das sieht gut aus. Evil Entdecker.
„Geht jetzt langsam wieder in die Ausgangsstellung zurück. Atmet frei und spürt, wie ihr wieder im hier und jetzt ankommt. “
Hier und jetzt hätte ich gerne ein kaltes Getränk und ein Sauerstoffzelt. Fühl mal in dieses Gefühl rein, du Körper-Klaus.
„Das war’s für heute. Ich danke euch und wünsche euch einen schönen Abend.“
Applaus von den Mädels. Bestimmt sind sie jetzt erleuchtet. Oder zumindest entspannt.
Ich werde hoffentlich gleich entspannt auf der Couch liegen und dort meine Bewegungen minimieren. Wahrscheinlich werde ich diesen Abend die nächsten Tage noch deutlich spüren. Der Weg zur inneren Ruhe ist mühsam.
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