Sie ist sauer, richtig sauer. Ich sitze mit einer Bekannten am Rhein. Die Sonne scheint, der Wind ist noch frisch, der Kaffee schmeckt. Und sie droht zu explodieren.

„Sie ist total nachlässig beim Auftragen des Gels geworden. Die Trockenzeiten hat sie völlig falsch kalkuliert und der Farbton ist ja wohl jenseits von Gut und Böse.“

Sie hält mir eine Hand mit makellos gepflegten Nägeln vor die Nase. Die Nägel glänzen blau-grün. Auf dem Daumen ist ein winziger Aufkleber, der einen Teddy mit riesigen Augen zeigt. Offenbar hat der Teddy was geraucht. Seine winzigen Augen sind Feuerrot.

Ich fühle mich beim Thema Nagelmodellage ähnlich kompetent wie ein Regierungsvertreter beim Thema Satire. Aber ich muss jetzt spontan Kompetenz in einer Grauzone meines Verstandes beweisen.

Ich: „Das ist ja schrecklich. Der Glanz ist total ungleichmäßig. Mal matt, mal seidenmatt, mal glänzend. Die qualitative Gesamtanmutung der Nägel ist unterste Schublade!“

Sie: „Genau! Und durch diese schlampige Arbeit werden die Nagelflächen auch noch stark belastet. Es dauert Wochen bis sie wieder vorzeigbar sein werden. Die Alte werde ich mir vorknöpfen!“

Sie schimpft schon seit längerer Zeit über ihre aktuelle Nageltante. Gute Nageltanten sind rar in Köln. Soviel ist mir schnell klar geworden. Wenn bei einer Frau ein Nagel einreißt, steht ihre Existenz auf der Kippe. Im Sinne des Wortes. Versagt die Nageltante, stehst du mit einem Mal ganz dicht am Abgrund. Eine weitere falsche Bewegung und du stürzt ab. Also der Nagel bricht ganz ab.

Mir fröstelt es bei diesem Gedanken. Meine Nägel sind meist etwas unregelmäßig in der Länge, aber bereiten mir keine Probleme.

Sie: „Und die Farbe hat nichts, absolut nichts, mit dem Farbton zu tun den ich haben wollte. Das sollte Ultramarinblau mit einem leichtem Einschlag von Meeresgrün werden.“

Ich nicke und blicke dem Ereignis angemessen ernst.

Sie: „Immerhin spricht diese Nageltante gut deutsch. Die meisten kommen aus Thailand oder sonst wo her und verstehen gar kein Deutsch. Dann machen die ja, was sie wollen. Das Ergebnis ist entsprechend!“

Sie blickt angeekelt ihre Nägel an.

„Mist!“

Bis vor wenigen Tagen war mir die immense Bedeutung von Nageltanten für den Gemütszustand der Kölner Bevölkerung, besonders des weiblichen Teils, überhaupt nicht klar. Ich saß müde in einer Kneipe in Klettenberg, als am Nachbartisch jemand gut hörbar für das Umfeld über seine Nageltante herzog.

„Sie ist plötzlich total sprunghaft geworden und ändert ihre Meinung im Minutentakt. Und jetzt ruft sie auch noch dauernd auf meinem Handy an. Abends, wenn ich zu Hause bin!“

Er hat Schweißperlen auf der Stirn. Mit einem Zug leert er sein volles Kölsch.

„Unsere Treffen werden immer schwerer planbar. Das kriege ich mit meiner Familie kaum noch unter einen Hut.“

Seine Kumpels wirken betroffen und nehmen kollektiv einen Schluck.  Ihre Gesichter zeigen Mitgefühl für die schwierige Situation.

„Ganz im Ernst: Die Alte stresst mich. Am Anfang ging sie ab wie eine Rakete, keine Fragen, nix. Das hat richtig Spaß gemacht. Jetzt habe ich dauernd das Gefühl, dass was schief gehen könnte.“

Ich konnte zwar seine Nägel nicht in Augenschein nehmen, vermutete aber auch hier Probleme mit der Kontur und dem Glanz der Nägel. Möglicherweise ist seiner Nageltante auch die farbliche Gestaltung der Nägel gänzlich misslungen. Nagel-Design soll ja ein sehr schwerer Studiengang sein. Schon vor dem Vor-Nageldiplom, dem Nagel-Bachelor, wird durch die Lehrenden ziemlich hart ausgesiebt. Angeblich steigen gescheiterte Nageldesign-Studentinnen und -Studenten vermehrt auf Jura um, weil sie dem immensen Druck des Nagel-Studiums nicht gewachsen sind.

Ich war betroffen. Der Typ tat mir leid. Sollte ich ihn fragen, ob er möglicherweise dieselbe Nageltante wie meine Bekannte aufsucht? Ob er Acryl oder Gel auftragen lässt? Das ist ein großer Unterschied.

Dann besann ich mich: Nägel sind eine sehr intime Angelegenheit. Deshalb unterließ ich es zu fragen. Geht mich ja auch nichts an. Am Ende gibt es noch InterNageltantenFerenzen. Nur weil ich zu neugierig war. Lieber nicht.

Ich selber habe keine Nageltante. Ich gehe aber ein oder zwei Mal im Jahr zur Maniküre und Pediküre. Nur Pflege, ohne Auftrag von Lack, Gel oder sonst was. Das sind sehr angenehme Termine. Die Nägel werden geschnitten und gefeilt, die Füße gebadet und eingecremt. Danach habe ich ein fast schon beschwingtes Urlaubsgefühl. Die ausführende Person ist ausgebildete Kosmetikerin und sehr angenehm im Umgang. Sie sagt, was sie gleich tun wird, bevor sie loslegt. Das ist ja oft umgedreht, wie ich vom Hörensagen weiß. Der Aufenthalt in ihrem Studio ist wie ein Kurzurlaub für mich. Sie ist angenehm dezent geschminkt und spricht gepflegt Deutsch. Sehr angenehm. Da kommt eine Nageltante bestimmt nicht ran.