„Spürst du die Unendlichkeit, die ewige Suche, O du Sklavin der Nacht?“
Meine Augen sind weit aufgerissen, die linke Hand hält den Text, die rechte Hand gestikuliert und untermalt den Text nach Kräften. Der Mund schleudert Sätze, Fragmente und Stimmungen heraus. Das Publikum starrt mich an. Niemand wagt zu sprechen oder auch nur hörbar zu atmen. Noch ist nicht klar, ob es Entsetzen oder Gebanntheit ist. Immerhin sitzt mein Anzug. Soviel wurde mir vorab mitgeteilt.
Am Vorabend der Art Cologne geben viele Galerien Partys für geladene Gäste, alles VIPs. Wer was auf sich hält, veranstaltet eine künstlerische Performance oder eine Lesung. Oder beides. Hauptsache man hebt sich vom Galerie-Einerlei ab. Wein gibt´s überall.
Ich lese heute Abend aus meinem bisher unveröffentlichten Text Alte Schlauchboote kriegen kein TÜV-Siegel vor und performe dazu situativ vor mich hin.
Ich liebe dieses seltsame Publikum, das regelmäßig jedes Jahr zur Art Cologne und noch öfter in die Galerien der Stadt pilgert. Jede Menge Frauen mit abgefahrenen Klamotten und abgefahrenen, meist asymmetrischen Frisuren. Typen, die aus schrägen Lifestyle-Magazinen entstiegen sind. In Klamotten die so dämlich aussehen, dass es schon wieder gut ist. Sie sind offen gegenüber jedweder künstlerischen Äußerung eines Menschen. Und sie rauchen anscheinend alle Kette und können unentwegt Rotwein in beachtlicher Menge wegpumpen.
„Du fragst nach dem Sinn des Lebens? Der Sinn des Lebens ist es, dieses Leben mit Bravour zu meistern oder sich vom Mittelmaß verschlingen zu lassen!“
Meine Augen haben sich zu Schlitzen verengt, ich spreche jetzt langsam und laut. Die Frau des Galeristen lächelt mich an und wechselt alle drei Sekunden das Rotweinglas von die linke in die rechte Hand. Sie hat ihren Mann überredet, mich hier und heute auf die Kundschaft loszulassen. Sie ist nervös.
Ihr Mann hat die Augen ebenfalls weit aufgerissen und glotzt mich an. Er leert den frisch eingeschenkten Burgunder in einem Zug. Offenbar wird ihm gerade erst klar, was eine Anregende Lesung mit dem Entdecker unterwegs wirklich bedeutet.
Die Künstlerin, die in den Räumen dieser Galerie ihre neuen Gemälde ausstellt, kichert an einer Tour. Sie hat ein schmales Gesicht mit wachen, grünen Augen und lange blonde Haare. Die Haare sind der Eyecatcher schlechthin. Sie vermitteln dank mehrerer Dosen Haarspray den Eindruck einer blonden Explosion. Oder eines schwerwiegenden Unfalls.
Sie trägt ein weißes, knöchellanges Kleid aus dem Second Hand-Laden und keine Schuhe. Wäre die krasse Frisur nicht, könnte sie auch gut als nachlässig gepflegte Elfe durchgehen.
Jetzt nehme ich etwas Tempo raus, versuche aus der Brust zu atmen und dabei klar und durchdringend zu wirken.
„Es gibt nur diesen einen Weg. Wir halten die Brücke bis zum letzten Mann!“
Ich glaube, Morgen werden einige der Anwesenden übel in den Seilen hängen. Der Galerist und seine sehr fruchtige Assistentin schleppen jetzt schon wieder zwei Kisten Wein in den überfüllten Raum. Das ist auch der Grund, warum viele Aussteller und ihre kaufenden Kunden schon am ersten Tag der Art Cologne ziemlich gebraucht aussehen. Ich freue mich schon auf die Gespräche. Bei dem Gedanken muß ich grinsen. Ein paar Leute grinsen zurück, obwohl der Text gerade sehr ernst ist.
Die Künstlerin dreht sich jetzt eine Zigarette. Wahrscheinlich Tabak aus dem Lande der Hobbits. Sie wirkt sehr konzentriert, ihre Zunge ist zwischen den Lippen eingeklemmt. Bloß nichts von dem guten Zeug fallen lassen!
„Stell´ dich deiner Ängste, schamlose Fremde. Und lass sie ziehen! Gib dich frei!“
Mehrere Personen im Publikum nicken
Ich blicke sie nun direkt an. Sie erwidert meinen Blick, denkt eine Sekunde nach, nickt dann und dreht die Zigarette weiter. Einen Satz später hat sie die Zigarette fertig gedreht. Ein junger Mann mit Vollbart, strengem Seitenscheitel, die Seiten des Kopfes säuberlich rasiert, dazu rotes Hemd plus roter Weste und schreiend-gelbem Jackett, kurz gesagt ein Südpolinesischer Buntbartpapagei, gibt ihr Feuer.
Kürzlich trug ich an anderer Stelle, in einer abgeranzten aber sehr coolen Galerie in der Südstadt, Auszüge aus dem Nageltanten-Zyklus vor und kommentierte nebenbei ein neben mir an der Wand platziertes Werk mit allerlei blumig-ironischer Spontan-Lyrik. Nicht allen Anwesenden erschloss sich die ironische Komponente meiner Aussagen. Der Künstler war damals auch anwesend. Aber so was von anwesend. Er hatte nicht etwas eingeworfen, sondern eher alles, was da war. Und ihm der findige Galerist besorgen konnte. Der Nachwuchs-Kunst-Super-Geheimtipp war begeistert, ob dieser Neuinterpretation seines Werkes. Sein Galerist schrieb eifrig mit und hat daraus sicherlich ein passables Stück Weltliteratur zur Dokumentation der Strahlkraft des Künstlers gebacken.
Zurück im Jetzt: Ich denke an Kinski und sein wohlüberlegtes „DU DUMME SAU!“ und brülle meinen Text jetzt hinaus. Und improvisiere neue Teile hinzu. Wie die folgenden Sätze.
„Was sagt IHR? SCHLAMPEN sind von ÜBEL für diese WELT?“
Das „ÜBEL“ dehne ich lustvoll in die Länge. Lustvoll brüllend. Die erste Reihe des Publikums weicht einen Schritt zurück. Es funktioniert.
„WISST IHR, WAS DAS EINZIGE ÜBEL AN SCHLAMPEN IST?“
Jetzt habe ich sie! Sie hängen an meinen Lippen.
„Ich frage euch erneut: WISST IHR ES?“
Brüllen ist geil. Bestimmt ist mein Kopf schon hochrot.
„DAS ES ZU WENIGE VON IHNEN GIBT!“
Ich höre mich keuchen. Und fröhliches Gelächter im Raum.
Ich mache eine Pause. Richte mich neu aus.
Meine Stimme ist leise, aber sie dringt durch.
„Es ist vorbei. Aber es hört nie auf. Es geht immer weiter.“
Der Text ist verlesen. Ich atme tief ein und langsam aus. Schließe die Augen.
„Vielen Dank.“
Ist da Begeisterung im Raum? Ja!
Eine Person klatscht. Dann zwei. Der ganze Raum klatscht. Ich habe sie.
Ich öffne die Augen und verbeuge mich. Ich spüre Euphorie. Als mir der Galerist einen Augenblick später die Hand gibt, merke ich den letzten Rest Anspannung im Nirgendwo verschwinden.
Die explodierte Elfe tritt zu mir, umarmt mich und strahlt mich an.
„Cool. You are äj tru Entdäcker untärwägs. Whatever this means.“
Sie kichert, kippt den letzten Rest Wein hinunter und läuft barfuß davon.
Da kann ich ihr nur Recht geben.
Diese Geschichte und viele weitere schöne Wort/Sinn-Kombinationen findet ihr in diesem schönen Buch.
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