Ich beobachte ja gerne Menschen in Alltagssituationen und versuche daraus etwas auf deren Gemütszustand abzuleiten. Besonders im Lebensmitteleinzelhandel lassen sich gut Beobachtungen anstellen. Es gibt tatsächlich Menschen, die kommen anscheinend mit nur zwei unterscheidbaren Gesichtsausdrücken durch den Tag.

Mimik A zeigt:

„Ich bin schlecht drauf und zeige das meinem Umfeld deutlich durch meinen abweisenden Gesichtsausdruck.“

Mimik B sagt aus:

„Ich bin sehr schlecht drauf, und lasse das heute alles an euch aus.“

Die schlechte Laune wird also ungefiltert direkt nonverbal an das Umfeld weitergegeben. Interessanterweise sind dies meist Männer. Die Sparsamkeit beim Gesichtsausdruck zeigt sich auch in deren  Bewegungsabläufen.

Gleichförmig watschelnd, schwerfällig und etwas abgehakt wirkt der Gang. Taucht plötzlich ein Hindernis auf, ein Kunde mit Einkaufswagen etwa, kommt der völlig überraschte Kollege ruckartig zum Stehen. Die Augen zeigen Überraschung und Ärger. Der Rest des Gesichts zeigt keine Veränderung. Ist das Hindernis aus dem Weg, folgt ein Moment des mentalen Vorglühens bevor die Schaltkreise ihre Arbeit wieder verrichten und der Bewegungsapparat wieder laaaaangsam in Gang kommt.

Manche Kunden sehen dies und schauen sich instinktiv um, ob irgendwo ein Nerd mit Handy steht, der seine neu entwickelten Eigenkreationen per App mit ungelenken Bewegungsabläufe durch dieses Gewühl steuert. Wahrscheinlich handelt es sich um eine frühe Betaversion der App.

Ganz kritisch sind übrigens Hindernisse, die sich nicht von alleine auflösen, sondern eigenes Handeln erfordern. Zum Beispiel ein Stau in einem sowieso schon vollgestellten Gang im Supermarkt.

Überall stehen Aufsteller mit tollen Produkten (Geschreddertes Hühnchen vom Bio-Hof), Weinkisten auf dem Boden (Chateau Regaleali), Einkaufswagen voller abgelaufener Produkte (Maple Walnut-Eis von Nein!, Ultradünne Pizza mit extra wenig Belag von Wagna), Menschen, die Produkte in die Regale einräumen, andere Menschen, die Produkte aus den Regalen aussortieren, dazwischen ein paar eingeklemmte Kunden, die am liebsten fluchtartig hier raus wollen, sich aber leise wimmernd auf den Boden setzen und sich ihrem Schicksal ergeben haben.

Dann neigen viele noch nicht ganz ausgereifte Schaltkreise zur Überhitzung und das Mundwerk gerät gern mal außer Kontrolle. Aber sobald die Schaltkreise wieder ausreichend Kühlung kriegen, geht es weiter. Das ist dann meist in den Wintermonaten der Fall.

Viel differenzierter ist das Bild bei den weiblichen Mitarbeitern: Mir ist nur ein Exemplar bekannt, das mit weniger als sieben Gesichtsausdrücken, oder Mim-Mik, wie sie selber sagt, durch den Arbeitstag kommt. Der Rest zeigt, je nach Stimmung, Kundenaufkommen und Funktionsfähigkeit des Getränkeautomaten eine unüberschaubare Vielzahl von Gesichtsausdrücken.

Viele davon signalisieren:

„Ich habe zwar Stress, bleibe aber ruhig und mache meine Arbeit. Auch dieser Tag geht vorbei. Wo ist der verdammte Kaffee???“

Ich überlege gerade, ob ich einen Nacken-Massageservice für gestresste Mitarbeiterinnen des Einzelhandels anbieten soll. Der Bedarf dafür ist gigantisch. Schon ein paar wenige Minuten sanfter Bearbeitung des Nackens der gestressten Kollegin reichen aus, um die Stimmung wieder in den grünen Bereich zu heben. Die Gesichts-Mimik gleicht sich der einer Katze, die den Kopf oder Bauch gestreichelt kriegt.

Auch die akustischen Rückmeldungen sind ähnlich. Die Katze schnurrt und schließt die Augen. Das Schnurren ist ein sanft rollendes „Rrrrrrrrrrrr…“.

Bei der Kraul- bzw. Massageempfängerin im Einzelhandel ist es eher ein fallen lassen, was sich in einem intensiven Stöhn-Geräusch, gefolgt vom Hängenlassen der Schultern äußert. Auch die Augen sind geschlossen. Die Lippen umspielt ein seliges Lächeln.

Wichtig ist es, beim Erkennen dieser Signale schnell die Massage einzustellen. Weil sonst komaartige Tiefenentspannung und Schnarchgeräusche in Verbindung mit einem steilen Abfall der Produktivität folgen.

Und dann gibt es Ärger mit den ferngesteuerten Vorgesetzten, die nun zwar entspannte, aber aufrecht schlafende Mitarbeiter haben.