Die Pferderennbahn ist Menschenkino reinsten Wassers. Und ich mag Kino sehr gerne. Auch wenn es mal kein Popcorn gibt und die Gelegenheiten zum Knutschen sehr rar gesät sind. Unvorsichtige kriegen hier allerdings sehr schnell einen Pferdekuss mit auf den Weg.
Beginnen wir das Menschenkino unten, ganz unten. Also nicht ganz unten, im Erdkern. Sondern ein, zwei Etagen höher. Sagen wir, unterhalb der Tribünen. Dort, wo nie ein natürlicher Lichtstrahl hineinfallen wird. Dort, wo bleiche ältere Herren unter Käfighaltungsbedingungen in Wetträumen sitzen und auf Fernseher starren. Auch der Geruch und die Sauerstoffknappheit erinnert leicht an Käfighaltung. Aber es ist weniger lebhaft hier unten. Allerdings besteht hier für die Insassen die theoretische und praktische Möglichkeit, auf Wunsch etwas mehr Auslauf zu bekommen.
Die Fernseher sind sehr hoch aufgehängt und zeigen Wettquoten, Fußballspiele und Pferderennen in Deutschland und in Europa. Alles essentielle Information für den geneigten Wetter.
Es gibt sehr viele, sehr spezielle Wettangebote für Experten:
- Wie viele Pferdeäpfel werden die drei Top-platzierten Rennpferde in Baden-Baden auf dem Weg von der Box bis zum Start absondern?
- Wie viele Minuten werden am aktuellen Spieltag der Premier League insgesamt nachgespielt?
- Wie viele Trainer werden in der Spielzeit 2016/17 im europäischen Ausland geschasst?
- Bonus-Wette: Wie oft ist Lothar Matthäus bei den Trainerwechseln dabei?
Und wie sie hier wetten. Sie zocken, was das gut patinierte Portemonnaie hergibt. Ihre konzentrierten Wettbemühungen werden nur von ein paar schnellen Pils und einer Bratwurst unterbrochen. Selbst beim Essen ist der Kopf erhoben und die Augen haften begierig auf einem Bildschirm. Konzentration ist wichtig. Kaum jemand redet. Es gibt auch nichts zu reden. Man ist einfach da und ganz tief im hier und jetzt verankert.
Am Ende des Tages werden sie knöcheltief in wertlosen Wettscheinen stehen und grummelig den Heimweg antreten. Und beim nächsten Mal wieder unauffällig unter die Tribünen huschen. Käfighaltung hat doch ihren Reiz. Wetten, Wärme und Geborgenheit.
Gegensätze machen ja neugierig. Deshalb verlagere ich die Handlung der Geschichte nun etwas. Von alten Männern zu alten Frauen. Und vom halbdunkel der Zockerräume ins helle Tageslich. Auf die Tribüne.
Sie sitzen im Sonnenschein und haben eine sehr gesunde Hautfarbe. Dem Ereignis angemessen, tragen sie Kostüme in zarten oder leicht verwaschenen Pastelltönen. Dazu Dauerwellen, die auch einem Orkan oder wahlweise einer Pferde-Stampede standhalten werden. Man weiß ja nie so genau, wann hier die Pferde durchgehen. Und wohin.
Diese Mädels sind oft hier. Wahrscheinlich gehören einige schon zum Inventar. Ich meine die älteren Damen im Rentenalter an den Tischen auf der VIP-Tribüne.
Die Unterhaltung hier erfolgt nur verhalten, mit leiser Stimme. Und auch diese Mädels wetten. Immer und ohne Limit. Sie kennen alle Wettkombinationen und haben sie alle schon ausprobiert. Mehrfach.
Selbst altgediente Zocker erkennen diese starke Konkurrenz an und zollen den gebührenden Respekt, indem sie immer mehrere Pferdelängen Abstand zu den weißen Ladys halten.
Vor jedem Rennen kommt eine gut gelaunte Bedienstete der Rennbahngesellschaft im gestärkten weißen Hemd vorbei und nimmt die Wetten der Damen entgegen. Geldscheine werden gegen Wettscheine getauscht. Nie sehen sich die Damen die Wettscheine an. Auch das übernimmt die junge Dame der Zockerbahngesellschaft nach dem Rennen. Dann werden auch gleich die Gewinne ausbezahlt. Und gleich reinvestiert.
So sitzen sie den ganzen Tag an der Rennbahn und genießen gediegen genüsslich die Weißweine des Hauses. Teilweise in hoher Schlagzahl. Und verzocken ganz nebenbei das Geld ihrer verstorbenen Männer. So kriegt man auch einen Tag auf der Pferderennbahn herum.
Es gibt Schlimmeres.
Fortsetzung folgt.
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