Es gab eine Zeit, da war das Wort „Antänzer“ noch nicht negativ besetzt. Auf Partys versuchten sich damals viele Menschen im Antanzen vermeintlich interessanter, oft weiblicher, Partygäste. Das Ziel war es immer, auf sich aufmerksam zu machen. Ohne große Worte und im Schutze der Musik. Tänzerisch Kontakt herzustellen sozusagen.  Das gelang nicht immer. Antanzen ist sehr schwierig.

Je später der Abend, desto mehr Koordinationsaufwand ist nötig, um aus dem „Antanzen“ kein „Umtanzen“ werden zu lassen. Die Übergänge sind fließend. Die Erfolgsquote bei der Zielperson schwankte sehr stark.

Leider wird auf Party-Antänzer heute oft mit Pfefferspray und Tritten reagiert, weshalb sich viele Menschen bei Partys häufig in die sichere Küche zurückziehen. Es ist einfacher, im dort oft sehr beengten Raum verbal Kontakt zum anderen Geschlecht herzustellen. Das geht, ist aber ungefährlich. Also langweilig.

Tanzen ist doch eine wunderbare Form der Interaktion. Tanzen kann aber auch der Abgrenzung dienen. Viele Menschen tanzen auf sehr engem Raum und  meiden dabei jeden Augen- und Körperkontakt zu den sie umgebenden Personen. Das kann an Schüchternheit, den unbequemen, aber wunderschönen High Heels oder einem hohen Alkoholpegel liegen.

Ein normaler Antänzer hat es sehr schwer, in den Wahrnehmungsbereich dieser Person zu gelangen. Er müsste sich so nah antanzen, dass der Tatbestand der Nötigung erfüllt ist – und die Strafe erfolgt meist an Ort und Stelle. Bevor er sein Antanzen beenden kann, werden ihn schon die Freundinnen der schüchternen/besoffenen Einzel-Tänzerin entdecken und mit übelsten Beschimpfungen eindecken. Regelmäßig verlassen diese unerfahrenen Antänzer, bereits körperlich versehrt, durch einen Notsprung über den Balkon die Party. Was da manchmal so spielerisch aussieht, kann in freier Natur tödlich enden.

Ausdruckstanz ist ein ganz anderes Kapitel. Ausdruckstanz ist viel schwieriger. Ein guter Ausdruckstänzer kann sich auch in Bodennähe im Takt der Musik oder auch fern der Rhythmen dieser Musik in Raum und Zeit bewegen. Es muss locker und spielerisch sein, natürlich cool und gleichzeitig männlich-herb aussehen.

Hin und wieder gibt es dabei leider Verletzte, aber bei allen großen Unternehmungen in der Geschichte der Menschheit hat es Verluste gegeben. Nur wenn du es fühlst, warst du wirklich dabei. Das wird oft erst am nächsten Tag klar, wenn der tiefe Schlaf einem nebeligen, etwas schmerzhaftem Dämmerzustand weicht. Und die geschundenen Füße und Knie dringend Pflege brauchen.

Wenn ich mir unbekannten Menschen gegenüber zum ersten Mal das Wort Ausdruckstanz benutze, kommen sofort Sätze wie:

„Ausdruckstanz machen doch Waldorfschüler. Die können dann ihren Namen tanzen.“

Und dann folgt ein breites Grinsen.

Ich sage dann mit ernstem Gesicht:

„Nein, was du meinst ist Waldorfsalat. Der wird zusammengemengt und dann formen hochbegabte Kinder mit ihren Händen daraus Worte.“

Pause.

„Ich meine Ausdruckstanz. Ein guter Ausdruckstänzer kann seinen Namen tanzen, ohne sich zu bewegen. Auch rückwärts. Und warum? Weil er es kann.“

Nach diesem Satz ist die Überforderung des Anderen förmlich zu spüren. Und der eigene Größenwahnsinn auch.

Ausdruckstanz ist eine schwer zu erlernende Technik. Diese erlaubt es, die innersten Gefühle individual-tänzerisch auszudrücken, dabei gleichzeitig das Buffet auf Partys restlos leer zu futtern und jedem Menschen in der Umgebung klarzumachen, dass hier gerade ganz viel positive Energie unterwegs ist. Und zwar ungeregelt. Wer dann im Karnevals-Schunkelmodus verharrt, wird nicht rechtzeitig ausweichen können.

Energie braucht eben Raum und Resonanz. Und manchmal, aber nur manchmal, reißt sie einen anderen Menschen mit. Dann wird Tanz zu Ausdruck und Ausdruck zu Gefühl.  Der Ausdruck ist zum Eindruck geworden. Und die eindrücklich Auserwählten kriegen vom Feeling her ein gutes Gefühl.