Die sozialen Medien haben viele Vorzüge. Man erfährt, was weit entfernt lebende Bekannte beschäftigt, wer wieder mit wem und wann feiern war und wird mit Videos von süßen Kätzchen bombardiert. Ich bin praktisch immer online, um nur ja nichts zu verpassen.
Wer bei Fatzebuch ist, der weiß, dass dieses Portal anhand der bestehenden „Freundschaften“ neue „Freunde“ vorschlägt. Da werden dann Leute aus längst vergangenen Zeiten präsentiert, die man gnädigerweise längst vergessen hatte. Die in Scheidung lebenden Ex-Männer von Freundinnen von Ex-Freundinnen werden vorgeschlagen. Menschen, die als Verkäufer in Juvelier-Läden arbeiten und bei denen ich vor Jahren per Kreditkarte ein Uhrenarmband aus original türkischem Kunstleder gekauft habe. Und schließlich Menschen aus Südamerika und Asien, deren Profil in einer mir fremden Sprache verfasst ist und bei denen ich keinerlei Zusammenhang zu meiner Existenz sehe.
Beim Aufenthalt auf den Social Media-Plattformen wird jeder Klick und jedes „Like“ aufgezeichnet. Charakter, politische Einstellung, sexuelle Orientierung, Risikoverhalten – alles wird analysiert und anhand von Erkenntnissen aus der Psychologie gefiltert. So entstehen in Windeseile Persönlichkeitsprofile, für die ein guter Therapeut mehrere Sitzungen bräuchte. Diese Profile werden dann gegen gutes Geld munter weiterverkauft. Um damit maßgeschneiderte Werbung oder eventuell passende Produkte zu generieren.
Ganz problematisch ist die „Like“-Funktion. Hier liegt der Teufel im Detail. Seit ich bei FB mehrere Bands aus dem Rock- und Metal-Bereich „geliked“ habe, kriege ich beim Surfen im Internet immer öfter Werbung für „Heavy Duty“-Schrauben und Schwerlastregale angezeigt. Bei Dating-Portalen werden mir Frauen vorgeschlagen, die Metall-Piercings haben und nur bei Dunkelheit das Haus verlassen.
Nun komme ich zwar hin und wieder erst in den Morgenstunden nach Hause, kann mich aber durchaus auch bei Tageslicht frei bewegen. Ohne zu Staub zu zerfallen. Offensichtlich sind ein paar Algorithmen in diesen Analyseprogrammen nicht so ganz ausgereift.
Ich schaue mir regelmäßig an, was die jeweiligen Analyseprogramme über mich rausgefunden haben. Demnach lebe und arbeite ich mindestens zwei Tage die Woche im südlichen Bayern, den Rest der Woche im Rheinland, lebe nach konservativen japanischen Sitten und Gebräuchen und gehe mindestens einmal die Woche in ein Café in Kopenhagen. Um dort zwei Tassen entkoffeinierten Kaffee zu trinken. Menschen, die mich etwas kennen, werden hier schon etwas stutzig.
Auch sehr interessant: Ich bin sehr risikobereit und nutze das Internet vor allem, um mit einem unseriösen Internet- und Telefonanbieter über die Berechnung nichtbestellter Leistungen zu kommunizieren und zu diskutieren (das kommt vor). Meine Kreditkarte nutze ich angeblich primär zum Kauf von übergroßen Business-Schuhen, Küchenutensilien und Damenunterwäsche.
Meine körperliche Merkmale sind auch sehr interessant: Demnach habe ich eine Glatze und entferne mir jeden Morgen mit dem Gerät eines chinesischen Herstellers von landwirtschaftlichen Betriebsgeräten jedes Haar einzeln vom Körper. Ich nutze zur Pflege meiner strapazierten Haut Produkte, die zwar Allergien auslösen können, aber mir gleichzeitig werblich das Image eines treusorgenden Hundebesitzers verpassen.
Meine sexuelle Orientierung wird als streng katholisch eingestuft. Das können wir gelten lassen.
Charakterlich bin ich großzügig und schüchtern, verhalte mich in der Öffentlichkeit sehr introvertiert, und meide großräumig Orte, die mit „Bio“ und „Alkohol“ in Zusammenhang gebracht werden können. Außerdem bin ich nicht nachtragend, vergesse aber nichts.
Natürlich frage ich mich jetzt, was anderen Menschen über mich auf den Social-Media-Plattformen so alles mitgeteilt wird.
Vor einigen Tagen hatte ich eine Verabredung mit einer Frau in einem Café in Stockholm. Um drei Uhr in der Früh. Das ist schon etwas ungewöhnlich, aber sie hatte mir den Ort und die Zeit für das Treffen vorgeschlagen. Damit wollte sie mir wahrscheinlich einen Gefallen tun. Ich habe eingewilligt, weil ich die Flugtickets im Gegenzug für ein „Like“ der Webseite einer neuen Fluglinie aus dem nördlichen Sibirien günstig bekommen konnte.
Das Treffen lief aber nicht so gut. Sie hatte sich mir etwas anders vorgestellt. Ich sie mir auch. Irgendwie passte nichts so richtig.
Ihr Gesicht war stark gepierct. Meines von einem gepflegten, vier- bis sechs Milimeter langen Bart eingerahmt. Als sie dann noch hörte, dass ich Zigarren mag, nachts gerne große Mengen Stapelchips vom Discounter verschlinge und dazu DVD´s mit Serien der Augsburger Puppenkiste anschaue, war es aus.
Sie ist wortlos aufgestanden, hat ihren pinkfarbenen Lammfellmantel über ihre mit Teddybär-Tattoos bedeckten Schultern gelegt und ist gegangen. Da saß ich dann alleine mit den von ihr bestellten Bio-Anchovis.
In Stockholm. Nachts.Das ist selten.
Am Flughafen habe ich mir einen doppelten Espresso Doppio voller Koffein bestellt und beschlossen, erst mal keine Dinge mehr zu „liken“.
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