Ich habe in den letzten Wochen eine ganz neue Sensibilität bei mir festgestellt. Natürlich war ich vorher schon sehr sensibel. Aber das war auf eine eher unterschwellige Art. Schon das Öffnen der Schale eines hartgekochten Eies kostete mich einige Überwindung. Schließlich war das Aufbrechen der Schale ein schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Hühner-Nachwuchses. Aber der Hunger wog schwerer.

Diese Bedenken haben sich verstärkt. Der Auslöser ist ein hartnäckiger Magen-Darm Virus. Dieser hat meine Verdauung etwas umkonstruiert. Und meine Sensibilität im Umgang mit Lebensmitteln noch deutlich gesteigert.

Ich habe dies bemerkt, als mein ständig hörbar rumpelnder Magen nach etwas Beruhigung verlangte. Das heißt: Tee. Wenn nichts mehr geht, geht Tee hinein.  Ich trinke nur sehr, sehr selten Tee.  Eigentlich nur wenn ich krank bin. Präzise ausgedrückt, ist Tee trinken das Zeichen bei mir, dass ich überhaupt krank bin.

Also: Tee = Krank oder Tee = widerlicher Geschmack.

Also wurde etwas Wasser erhitzt, ein neu erstandener Beutel Würg-Tee aus der Verpackung entnommen und in einen eigentlich für leckeren Kaffee vorgesehenen Becher abgelegt. Dann habe ich das heiße Wasser in den Becher eingeschenkt.

Und dann passierte es. Ich hatte Skrupel, den Teebeutel unter die Oberfläche des kochenden Tee-Wassers zu drücken. Weil das ja auch irgendwie eine Form von Waterboarding ist. Aber auch Teebeutel sind Lebensmittel und verdienen Respekt.

Mein Magen grollt.

Ich murmelte dann halblaut:

„Ich weiß, es ist verdammt heiß da drin. Aber du kannst  das. Du bist dafür da, auf diese Art deine Runden zu schwimmen. Und ich brauche jetzt diesen Tee, um wieder gesund zu werden. Jetzt.

Auch wenn er übel schmeckt und ich mir im Normalfall jetzt gerne ein paar Espressi hinter die Binde kippen würde.“

Jetzt muss es aber Tee sein. Ganz weit vorne auf der Abscheulichkeits-Liste steht übrigens Salbei. Allein der Geruch kann in schlechten Momenten eine sofortige Magen-Entleerung bewirken. Dann folgt in einigem Abstand Kamille. Ab Fenchel wird es dann langsam verträglich (aber nicht gut!). Nach ein paar Tagen Magen-Party schmeckt sowieso alles gleich widerlich. Dann bilde ich mir ein, der Tee sei der eigentliche Auslöser allen körperlichen Übels. So werden Krankheiten unnötig verlängert.

Tee-Kenner haben ja verschiedene Techniken entwickelt, um den Teebeutel mit dem Wasser in Berührung zu bringen. Manche öffnen den Beutel mit einem sauberen Schnitt per Skalpell am unteren Ende, lassen die welken Blätter in die vorgeheizte Tasse hinab rieseln und verbrennen dann jeglichen Geschmack mit Wasser an der Siede-Grenze. Das Ganze sieht dann aus wie Brackwasser und schmeckt nach verbranntem Rasen. Ist eben was für Kenner.

Filmfans machen das ganz anders: Seit Terminator werden Teebeutel gerne auf speziellen Löffeln mit Haltevorrichtung fixiert und dann zu den dramatischen Klängen des Terminator- Soundtracks langsam in die kochende Glut hinab gelassen. Arnie lässt grüßen. Das ist mir allerdings zu theatralisch.

Nach dem „Tee-Genuss“ lasse ich den leblosen Teebeutel noch etwas in der Untertasse im Sonnenschein liegen. Bevor er in die Mülltonne kommt. Soviel Pietät muss sein.

Mein Magen rumpelt übrigens nach dem gefühlt 236. ertränkten Teebeutel kaum noch. Der Virus wird langsam, gaaanz langsam von der Brühe plattgemacht. Mittlerweile vertrage ich auch wieder halbfeste Nahrung wie z.B. lappige Brötchen vom Discounter. Es geht also aufwärts.

Morgen wird die Espressomaschine wieder in Betrieb genommen. Dann werde ich wieder viele Tausend duftende Espressobohnen genüsslich in der Kaffeemühle schreddern und dann mit 94 Grad heißem Wasserdampf konfrontieren. Und dann tropft das duftende, ölig-braune Espresso-Nass aus dem Siebträger in die vorgeheizte Tasse. Eine Krone aus dichter Crema wird den Espresso bedecken. Und ich werde den energiereichen, starke Glücksgefühle auslösenden Trank  genießen. Jeden Tropfen.  Komisch, da bin ich weniger sensibel.

Moment… .

Es röhrt.

Ups!

Der Magen grollt wieder. Deutlich hörbar.

Wo ist der Tee??