Bio ist ambivalent. Ich schätze alle Bemühungen von Idealisten, Menschen in armen Ländern ein gutes Auskommen durch faire Preise beim Einkauf dort produzierter Rohstoffe und Waren zu ermöglichen. Mittlerweile gibt es aber in jedem Supermarkt Bio-Produkte ohne Ende. Und irgendwann meldet sich unterschwellig ein Gefühl, dass tiefes Misstrauen gegenüber der Glaubwürdigkeit der vielen Bio-Siegel signalisiert. Bio wirkt verkaufsfördernd. Und dann wird gern etwas mehr gefördert.
Es gibt an der Neusser Straße mehrere Bio-Läden. Diese haben regen Zulauf beim Bio-ökologisch-vegan-vegetarisch orientierten Publikum. Beliebt sind diese Läden auch bei Schnorrern. Besonders der Eingangsbereich. An dieser strategisch günstigen Position lassen sich problemlos größere Mengen Wechselgeld von den Bio-Einkäufern beim Verlassen des Ladens einsammeln.
Dafür haben der oder die geduldig Wartenden immer einen sehr gebraucht aussehenden Kaffeebecher von Backwerk dabei. Backwerk ist sicherlich nicht gerade Bio, aber dafür günstig. Das schreckt die Bio-Kleingeldspender aber nicht ab. So kommt in diesem Sammelbehälter aus Pappe im Tagesverlauf eine Stange Geld zusammen.
Kritisch wird es, wenn ein zur Spende bereiter Passant dem wartenden Schnorrer etwas zu essen aus dem Bioladen anbietet. Dann reagieren der Schnorrer sehr gereizt. Ich kann das nachvollziehen. Produkte, die tatsächlich so schmecken wie sie heißen, sind nicht jedermanns Sache. Bei Bio-Gebäck scheiden sich aber endgültig die Geister und Geschmacksnerven.
Eine Nussecke angeboten zu bekommen, die aus einer gewagten Dinkel-Hafer-Weizenkleie-Kombination und einem homöopathischen Klecks Dunkler-Bio-Schokolade besteht, die Größe eine Zwei-Euro-Stücks hat und einen Verkaufspreis, der für ein ganzes Blech Andalusischer-Apfelriemchen beim Bäcker um die Ecke angemessen wäre, kann man als Ehre empfinden. Wenn man schon immer mal überteuertes, abscheulich schmeckendes Gebäck probieren wollte, das aus fair gehandelten Bestandteilen besteht.
Der Schnorrer fühlte sich nicht geehrt. Er war unwillig, sich auf die Nussecke aus dem Bioladen einzulassen. In seinem Fokus war eindeutig Münzgeld, welches ab aufkummulierten 29 Cent bereits den Ankauf einer 0,5 Liter Dose Premium-Pils vom Discounter nebenan sicherstellt.
Die Nussecke-anbietende Dame konnte den nach Flüssignahrung dürstenden Mann durch gutes Zureden nicht überzeugen. Je heftiger sie das Gebäck bewarb, desto heftiger schüttelte der den Kopf. Am Ende war sie enttäuscht. Er auch. Vor dem Einkauf wäre ein gemeinsamer Abgleich der Erwartungen an eine Essensspende sinnvoll gewesen.
Ich gehe nur noch sehr ungern in Bioläden. Ich mag den Geruch in diesen Läden nicht. Es riecht nach Reformhaus, also sehr seltsam. Da kommen Erinnerungen an Weizenkleie und andere schlimme Erfahrungen aus der Kindheit hoch. Und 100 g Schinken für 6 € überschreiten mein Budget für Formfleisch-Produkte.
Mittlerweile hat fast jeder Bioladen auch ein Bio-Café integriert. Früher bin ich ab und zu mit Kollegen in diese Läden zum Frühstücken gegangen. Das Ambiente ist ganz nett, viel Holz, viel tolles Landfeeling, die Kellnerinnen sehen nach viel Bio aus und tragen sehr schicke cremefarbene Hemden. Beim Blick in die Vitrine setzt Ernüchterung ein: eine große Auswahl an kleinformatigen Produkten. Ist ja OK, wenn die Qualität stimmt.
Ein Frühstück von der Karte dort reichte aber nie ansatzweise aus, um meinen Hunger zu stillen. Das geht auf Dauer etwas ins Geld. Das wäre zu tolerieren, sofern das Geschmackserlebnis stimmt und ein gewisses Sättigungsgefühl einsetzt. Das war aber bei weitem nicht immer der Fall. Und wenn mein Magen lautstark zu knurren beginnt, sitze ich bald alleine am Tisch. Weil alle glauben, ich würde meinen Hunger dann in meinem unmittelbaren Umfeld stillen. Und ich bin ja sehr sensibel.
Schlimm war der Geschmack eines für mich essentiellen Bestandteils meiner morgendlichen Getränkeauswahl: der Kaffee. Ich weiß aus Erfahrung, dass ein Kaffeegetränk nur so gut ist, wie der Mensch fähig ist, der die Kaffeebohnen mahlt (also den richtigen Mahlgrad für das richtige Getränk und die dazu passende Maschine auswählt), damit die Kaffeemaschine bestückt und den Vorgang des Kaffeebrauens durch Drücken einer Taste oder dem Befüllen und einhaken des Siebträgers in Gang bringt.
Das Ergebnis war oft, nun, es war auf jeden Fall Bio. Geschmacklich war die Mischung aus Bio-Milch mit Bio-Kaffee schlimm. Ich schreibe jetzt bewusst schlimm, weil ich sonst wieder abscheulich nutzen müsste. Es gibt ja so viel schlechten Kaffee in diesem Land zu erstehen. Dieser war teuer und schlecht. Der Bio-Espresso konnte auch nicht ansatzweise überzeugen.
Bei jedem Italiener gibt es einen Espresso Doppio, der zuverlässig auf seinem Weg durch den Mundraum durch den menschlichen Körper alle Schleimhäute reizt, den Magen mittelfristig ruiniert und der sehr anregend auf den Körper und dessen Wachheit wirkt. Da weiß man, was man hat.
Jetzt weiß ich auch, warum die Schnorrer immer mit einem Kaffeebecher von Backwerk vor dem Bioladen stehen.
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