Im kommenden Sommersemester werde ich ein Studium beginnen. Entschieden habe ich mich für das Fach Post-fraktale, tautologische Lyrik der inversen Neuzeit. Das hört sich etwas abstrakt an, ist es aber bei näherer Betrachtung gar nicht. Es geht darum, inspirative Momente in schöne Worte und ganze Texte zu übersetzen. Möglichst mit einem sinnvollen Zusammenhang und in ansprechender Form.

Der Auslöser für meine Entscheidung ist ein kurzer Text, den ein guter Freund spontan in die Tasten geklopft hat. Besagter Freund, namentlich Herr O. Wellenberger, tut sich ebenfalls gerade ein Studium an. Nebenbei. Täglich kämpft er nun gegen die Untiefen der neuzeitlichen Wirtschaftstheorie, bewegt sich in den menschenleeren Labyrinthen der Buchhaltung und arbeitet sich an den psychologischen Vorgängen in der modernen Arbeitswelt ab.

Im Hauptberuf arbeitet er engagiert in der Luft- und Raumfahrtindustrie und gestaltet tagtäglich die sehr fragilen, soziologischen Prozesse in den Fluggasträumen dieser Welt mit. Eine Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis verlangt. Das ist oftmals nur mit stoischer, innerer Gelassenheit und einer extrem guten Frisur zu ertragen.

Jetzt hat ihn unerwartet die Muse geküsst. Der Kuss war so heftig, dass seiner Feder spontan wunderbare Lyrik entsprang. Er schrieb gewissermaßen einen kurzen Brief an sein neues Semester. Als ich den Text las, wusste ich sofort, dass hier ein epochales literarisches Ereignis stattgefunden hatte.

Deshalb möchte diesen Text hier wiedergeben (natürlich mit freundlicher Genehmigung des Autors):

„Liebes 5. Semester, ich begrüße dich, wenn auch ohne Blumen und Glühwein – glaube es mir, den trinke ich selbst. Du bereitest mir schon jetzt kurze Nächte und hältst mich im Jetlag wach. Ich lese Literatur, damit ich gegen dich in Statistik gewinne. Ich tauche, klausurbedingt, in die Untiefen der Unternehmenskultur ein und werde eine kleine Präsentation in pädagogischer Psychologie für dich vorbereiten. Ja ich weiß, alles selbstgewähltes Schicksal. Du wiederholst dich! Dafür werde ich dich in einem halben Jahr abhaken und mit dem 6. Semester betrügen. Natürlich bin ich auch dankbar, dich näher kennenzulernen; warst du doch vor einiger Zeit noch so unerreichbar. Also, pflege ich die zarten Bande einer Freundschaft zu dir… .“

Es gibt unzählige Arten mit Sprache umzugehen. Dies ist ein wunderbares Beispiel für eine glückliche Zusammenkunft von Inspiration, Geist und Lyrik.  Es ist Poesie. Es ist das Gegenteil der degenerierten Sprache der Juristen. Diese ist im Wesentlichen der Versuch, ausschließlich im Konjunktiv zu formulieren und der deutschen Sprache jedwede Lebendigkeit zu nehmen. Und damit die Verständlichkeit des geschriebenen Wortes zu negieren. Dies gelingt im Regelfall ausgezeichnet.

Zurück zum Wellenbergerschen Text. Ich wage eine kurze Analyse.

Das neue, das fünfte Semester und der Student werden sich bald gegenübertreten – und vielleicht annähern. Ja, es könnte gar eine Freundschaft entstehen, aber viele Zweifel und Erfahrungen aus der Vergangenheit werden das Zusammenkommen belasten. Eine schwere Bürde drückt den Protagonisten. Er weiß, dass Schicksal, dieses Scheusal, hat dieser Beziehung eine kurze Blütezeit beschieden: Das sechste Semester wird unausweichlich folgen und die Brücken zum Fünften zerstören. Von schändlichem Betrügen ist die Rede.

Hier werden die Grundfragen der menschlichen Existenz kraftvoll aufgeworfen und ohne Rücksicht auf tiefste Empfindungen schonungslos beantwortet. Man fühlt sich unweigerlich an Hemingways „Wem die Stunde schlägt“ erinnert.

Am Ende aber bleibt Hoffnung:

„Also, pflege ich die zarten Bande einer Freundschaft zu dir… .“

Ja, sie ist da, die Bande. Aber sie ist zart und zerbrechlich. Mit einem Wimpernschlag kann alles vorbei sein. Aber dann folgt etwas Neues, etwas Gutes. Es bleibt unausgesprochen, was dies ist. Es könnte eine Flut an Geschenken zu Weihnachten sein, ein Silberstreif am Horizont oder ein neuer, innovativer Haarschnitt. Warten wir es ab und lassen uns von den kommenden Wellenbergerschen Semsteranfangspontantextfragmenten überraschen.