Makellos ∼ Fruchtig ∼ Episch. Mit sanften Reflexen.

Langsam, fast schleichend hat sich meine Umgangssprache in den letzten Jahren verändert. Das war mir gar nicht bewusst. Irgendwann hat mir eine Bekannte auf einer Party so nebenbei mitgeteilt:

„Du drückst dich so klar und gleichzeitig so schön aus. Solche Worte kenne ich gar nicht.“

Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte. Dann fiel mir ein, dass ich gerade den Geschmack des Rotweines in meinem Glas im Rahmen eines etwa halbstündigen, sehr lebhaften Vortrages mit schon schwerer Stimme erläutert hatte. Sie und zwei ihrer Freundinnen hatten mir aufmerksam zugehört und sind zwischendurch von ihrem öden Weißwein auf meinen so tollen Rotwein umgestiegen. Irgendwann nickten sie nur noch bei jedem meiner Worte und tranken ihre gut gefüllten Gläser mit steigender Begeisterung leer. Danach schwärmten sie alle anderen Partygästen von…

„…diesem tollen Shiraz mit den funkelnden Reflexen, dem sanften Wildbeerengeschmack und dem wunderschönen, sonnenverwöhnten Anbaugebiet in Hanglage mit Nord-Nord-Ost-Ausrichtung in den Südanatolischen  Alpen vor.“

Ich war stolz auf mich. Zumal mir der Wein vor dem Betreten der Küche der Partywohnung nicht bekannt war und ich mir beim Betrachten des Flaschenetiketts erst die größeren Zusammenhänge zusammen improvisieren musste.

Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich intensiv mit Wein. Besonders mit den Etiketten auf den Flaschen und den Etiketten am Weinregal im Supermarkt. Das ist wahre Lyrik. Ich glaube, so etwas können nur sehr engagierte Menschen hervorbringen, die im Zustand der größten Dichtheit dichten und sich innerlich mit dem Inhalt der Flasche vereinen.

Ich habe so viele Weinetiketten gelesen, dass ich bereits beim Blick auf die Form der Flasche und der Farbe des Weinverschlusses weiß, wann es vor der Ernte der Trauben zuletzt geregnet hat und ob der Ernter Links- oder Rechtshänder ist.

Mittlerweile verwende ich die Weinetikettenkennersprache auch in anderen, fachfremden Zusammenhängen.

Neulich saß ich bei Freunden am Frühstückstisch und bezeichnete die Crema auf meinem Espresso als makellos, das Geschmackserlebnis im Mundraum als explosive Erfahrung erster Güte und die Wirkung als mild, fruchtig und sehr belebend. Es saßen auch ein paar Leute mit am Tisch, die ich hier gerade erst kennengelernt hatte. Diese schauten mich staunend an und orderten dann sofort jeder einen Espresso beim Gastgeber. Offenbar wollten sie mein Geschmackserlebnis nachvollziehen.

„Produktionsprozesse mit natürlichen Rohstoffen wie Kaffeebohnen sind qualitativ nur schwer reproduzierbar und verlangen höchste Sorgfalt und spielerische Kreativität an der Flasche, äh, Siebträgermaschine.“

Der Siebträgermaschinenmaschinist grinste mich an und sagte, er werde sich alle Mühe geben, wieder so was Tolles mit der Maschine und den Bohnen zu zaubern.

Bei einem Date habe ich der sehr aufgekratzten und hübschen jungen Frau mitgeteilt,

„dass der Weißwein aus der Pfalz in deinem Glas ein liebliches Farbenspiel bietet, sich die Trauben aber einen Ticken zu lang im Prozess der Gärung befanden, was sich unangenehm beim Zusammentreffen von Wein,  Sauerstoff und der näheren Umfeld bemerkbar macht.“

Zu Deutsch: Sie hatte Mundgeruch und wollte knutschen. Ich wollte keinen weiteren Kontakt und nach Hause. Leider kam die Botschaft nicht an und ich musste unter dem Vorwand

„eines langen, cremigen Abgangs infolge zu hohen Säuregehalts des Weines“

fluchtartig den Heimweg antreten.

Der Genuss eines Falafels in einem Dönerladen in den frühen Morgenstunden eines winterlichen Sonntages wurde zu einem

„unvergesslichen Zusammentreffen verschiedener, ausführlich abgehangener Zutaten ungeklärter Herkunft, mengenmäßig knapp kalkuliert und kombiniert mit suboptimalen Arbeitstechniken in nicht-steriler Umgebung. Dazu würde eine ein schwerer spanischer Wein mit hohem Alkoholgehalt und desinfizierender Wirkung passen.“

Das ist doch ein liebliches Schlusswort, welches sich gut mit Meeresfrüchten oder Hühnchen kombinieren ließe.

 

 

 

 

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2 Kommentare

  1. Großartig. Was eine makellose Story , schon beinahe episch.
    Dank dir erweitert sich der Horizont meines Vokabulars immer mehr .

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