Im März letzten Jahres habe ich einen meiner beiden Kleiderschränke entsorgt. Ein Umzug stand an. Und ich hatte mit dem Überflussproblem unserer Zeit zu kämpfen: Ich besaß viel zu viele Klamotten. Gefühlt und tatsächlich. Und habe nur einen Bruchteil davon angezogen. Nämlich die Kleidungsstücke, die ich wirklich mag und in denen ich mich wohl fühle. Das waren genau drei von 15 vorhanden Anzügen und drei von neun Jeans. Um nur ein paar der harmloseren Beispiele zu nennen. Jetzt habe ich nur noch einen Kleiderschrank, aber trotzdem noch zu viele Klamotten. Wegschmeißen fällt mir schwer.
Hin und wieder teilen mir sehr modisch veranlagte Menschen des weiblichen Geschlechtes, die über sehr umfangreichen Stauraum für Klamotten verfügen, mit, dass ich nichts Ordentliches anzuziehen hätte oder mich gar nachlässig anziehen würde. Dann grinse ich feist in mich hinein. Weil ich weiß, welche Qualen es diesen Menschen bereitet, die richtige Kleidungsauswahl für den jeweiligen Zweck zusammenzustellen. Da fließen oft Tränen und der Satz:
„Ich habe nichts anzuziehen“
ist Standard. Und das obwohl gut zwei Drittel deren Wohnungen als begehbarer Kleiderschrank bezeichnet werden könnten.
Mode und Klamotten sind für mich ein Randthema. Ich unterhalte mich nur mit zwei Menschen auf dieser Welt ausführlicher über Klamotten. Einmal mit einer Freundin, die sich regelmäßig wagemutig in Frisur- und Schminkexperimente stürzt und zudem noch optisch sehr reizvolle Strümpfe mit Muster trägt (was in diesem Land leider viel zu wenige Frauen tun). Diese Frau hat mich in das für Frauen so bedeutsame und riesige Feld der Nagelbewirtschaftung und -pflege eingeweiht. Seitdem ist mir klar, warum es an jeder Ecke ein Nagelstudio und einen Friseur gibt. Und das diese Berufe eine wichtige gesellschaftliche Funktion haben.
Die andere für Modethemen empfängliche Person ist ein Freund, der sich modisch in den letzten Jahren sehr gewandelt hat. Er trug früher meist weiße Hemden, der Rest seines Erscheinungsbildes hatte eine coole, gut abgehangene Lässigkeit. Mittlerweile ist er immer schick, aber nicht modisch angezogen. Die Kleidung passt zu ihm und wertet sein Erscheinungsbild unaufdringlich auf. Das ist wahrer Style. Und er hat meines Wissens auch nur einen mittelgroßen Kleiderschrank.
Ich lese hin und wieder auf Webseiten über Style. Kürzlich las ich, dass Männer beim Ausgehen mit einem guten weißen Hemd nichts falsch machen können. In meinem Kleiderschrank finden sich fünf weiße Hemden. Davon verdienen zwei das Prädikat großartig, eins ist vorzeigbar und die restlichen zwei sind für heiße Sommernächte mit Grillen, Bier verschütten und knutschen sehr gut zu gebrauchen.
Neulich wollte ich eine Freundin zum Abendessen bei ihr zu Hause abholen. Als ich pünktlich um 19:15 h ihre Wohnung betrat, sagte sie:
„Nimm dir was zu trinken aus dem Kühlschrank, ich muss mich noch mal umziehen. Dauert nicht lang.“
Gut, ich habe mir ein Glas Wein eingeschenkt, auf der sehr bequemen Couch Platz genommen und die Vorzüge ihres HD-Fernsehers genossen. Das Programm war öde. Eine abgemagerte und ziemlich hässlich geschminkte Frau versuchte erfolglos, ein Promi-Magazin auf RTL lässig und unterhaltsam zu moderieren.
Nach einem halben Glas Wein bin ich eingeschlafen und knapp zwei Stunden später wieder aufgewacht. Lautes Schluchzen aus der begehbaren Kleider- und Schuhschrank-Kombination in ihrem Westflügel Westflügel hatte mich geweckt. Sie konnte das kurze Umziehen leider nicht in der geplanten Zeit zufriedenstellend abschließen. Ergebnis war ein Heulkrampf, der das Make-Up zunichtemachte und damit auch das gemeinsame Abendessen beim Italiener hinfällig werden ließ. Sie bestrafte sich missmutig mit Prosecco. Ich ging gut ausgeruht meines Weges und spazierte meinem Heimatviertel entgegen.
Mein Abendessen an diesem Abend bestand aus einem Falafel-Döner mit Bier bei einem Imbiss an der Neusser Straße. Die Bedienung meinte, ich sähe sehr schick aus. Der Bart herb-männlich ungekämmt, das Haupthaar gescheitelt und dann experimentell mit einem Restyler-Produkt in sekundenschnelle auf Durcheinander getrimmt. Ein Vorgang, der nach dem Duschen neben dem Abtrocknen und Anziehen bewältigt werden kann. Dazu braune Schuhe, Jeans, weißes Hemd, Jackett mit Einstecktuch. Das waren die Sachen, die im Schrank vorne hingen oder lagen. Ja, das ist bequem.
Ein kleiner Kleiderschrank ist völlig ausreichend. Dann bleibt mehr Zeit für die angenehmen Dinge.
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