Das Leben ist zu kurz für Smalltalk. Wenn ich einen Menschen kennenlernen will, versuche ich schnell herauszukriegen, wie ihr oder sein Weltbild aussieht. Sofern der erste Eindruck ein interessantes Gespräch erwarten lässt.

Die Fragen nach den individuellen Werten ist da nicht ganz ohne. Manche Menschen sind bei dieser Frage überfordert oder fühlen sich sogar bedrängt. Werde ich gefragt, was meine Werte sind, antworte ich gerne etwas kryptisch, um dem Gespräch etwas Schwung zu verleihen. Und um meine Kreativität unter Beweis zu stellen. Gerade wenn ich im Begriff bin, eine Frau näher kennenzulernen. Gut, nennen wir es umständehalber ein Date.

„Ich habe persönlich vier grundlegende Werte. Mir sind Pracht, Distanz, Ästhetik und Marktfrische wichtig.“

Dabei blicke ich meine Gesprächspartnerin ernst und konzentriert an.

„Aha.“

Im idealen Fall denkt sie Das war ironisch gemeint. Der Typ fordert mich heraus. Ich nehme diese Herausforderung an. Die anderen Fälle interessieren hier nicht weiter. Weil das Gespräch an diesem Punkt schon beendet ist.

Merke: das Leben ist zu kurz für langweilige Gespräche.

„Erzähl mir mehr, großer dunkler Mann mit schwarz-weißer Bartpracht.“

Höre ich da einen spöttischen Tonfall aus ihrer Stimme heraus? Sehr gut!

„Gerne, O Genießerin sprudelnder alkoholischer Genüsse.“

Demonstrativ nimmt sie einen großen Schluck Prosecco und ordert mit einem Fingerzeig auf das Glas eine neue Lieferung.

„Also. Was meinst du mit Pracht?“

Sie klingt jetzt fast etwas streng.

„Pracht beschreibt mein Grundgefühl nach einem langen, erholsamen Schlaf. Der erste Blick an die ferne Decke meines Schlafzimmers. Das wunderbare Raumgefühl in meiner Wohnung. Der Tag, der vor mir liegt und den ich mit Worten und Taten gestalten kann.“

Ich mache eine Pause und blicke versonnen ins Nirgendwo. Ihr Blick hat sich fest auf mein Gesicht geheftet, um kleinste Spuren eines Grinsens, von Überheblichkeit oder von komplettem Wahnsinn zu entdecken. Ich werde das Thema „Pracht“ noch etwas vertiefen.

„Auch ein wohlschmeckender Espresso kann prachtvoll sein. Ein Sonnenaufgang am Meer. Halterlose Strümpfe, die farblich mit der Farbe der Beine kontrastieren… .“

Habe ich gerade geseufzt?

„Okay, okay. Verstanden. Wieso ist dir Distanz so wichtig?“

Jetzt hat sie ein leichtes Grinsen aufgelegt.

„Distanz ist in einer Beziehung sehr wichtig. Für jede innige Beziehung ist Distanz zueinander eine wichtige Voraussetzung. Ist genug Distanz zueinander vorhanden, haben beide genug Freiraum und können unbefangen und ohne jede Einengung aufeinander zugehen.“

„In einer Beziehung ist mir Distanz wichtig. Diesen Satz höre ich zum allerersten Mal. Interessant.“

Sie blickt mich erneut fragend an. Verarscht mich der Typ gerade? Ist er wahnsinnig? Oder ist er wahnsinnig interessant, weil er mich verarscht?

„Du meinst mit Distanz also Freiraum?“

„Nein, Freiraum ist mir sprachlich zu ungenau. Freiraum kann auch Platz für ein Bücherregal bedeuten.“

Sie denkt angestrengt nach, kann die sprachliche Verwirrung aber nicht auflösen. Ihre bisherige Getränkeauswahl ist da auch nicht hilfreich.

„Was war das Dritte? Ästhetik?“

„Ja, Ästhetik. Sprachliche Ästhetik spielt eine große Rolle für mich. Das ist gleichzusetzen mit innerer Schönheit.“

Ich lächle in mich hinein, ob dieser blumigen Formulierung.

„Ein schön formulierter Satz, der sich ins Gedächtnis gräbt. Ein Reim, der gut klingt und der Seele schmeichelt. Ein Lichtstrahl, der sich auf der Oberfläche eines wunderbar fruchtigen Rieslings bricht und in unzähligen Farbnuancen zerfällt… .“

Sie hebt die Augenbrauen und dann ihr Sektglas auf Augenhöhe, um einen schnellen Blick auf die Oberfläche des Proseccos zu werfen und blickt mir dann fest in die Augen.

 „Ich weiß nicht was du genommen hast, aber ich möchte es auch haben. Wir müssen dieses Distanz-Ding nochmal besprechen. “

Zack, und ihr Sektglas hat Bodensee. Sie wird mutig und winkt dem Kellner.

„Haben Sie Riesling?“

Merke: Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu genießen.

„Ja, wir haben einen trockenen Riesling aus der Pfalz und einen feinherben aus Rheinhessen im Ausschank. Und noch einiges mehr auf der Weinkarte. Möchten Sie die Weinkarte haben?“

„Nein. Ich möchte nur ein Glas Wein. Okay, welchen nehme ich?“

Sie blickt mich mit hochgezogenen Augenbrauen über die Schulter hinweg fragend an. Ich wende mich dem Kellner zu.

„Schmeckt der feinherbe Rheinhesse eher nach frischen, duftenden Südfrüchten oder eher nach Früchte-Kompott aus dem Supermarkt? Einer, der mit subventioniertem Zucker genießbar gemacht wurde?“

„Äh, ja, ich meine nein. Also fruchtig ist der auf jeden Fall.“

Der Kellner ist sichtlich überfragt.

„Ist er fruchtig-frisch oder marktfrisch-frisch?“

Es schaut mich ratlos an.

„Frisch ist er auf jeden Fall. Ich mache Ihnen eine ganz neue Flasche auf!“

Er wirkt auch etwas angestrengt. Diese Fragen kommen wohl nicht oft von Gästen.

„Gut, dann bitte ein Glas feinherber Riesling für die Dame. Null zwei?“

Sie nickt mir zu. Ich nicke dem Kellner zu. Wir stoßen an. Sie mit feinherbem Riesling, ich mit Aqua sin Gas.

Ich liebe ein gehaltvolles Gespräch über die wirklich wichtigen Dinge im Leben.