Ich lebe im Kölner Norden, an der Neusser Straße. Da gibt es immer einen Grund, vor die Tür zu gehen. Manchmal ist es aber besser, sich vorher zu informieren, was draußen so los ist.
Vor ein paar Tagen verließ ich am frühen Nachmittag das Haus. Im Anzug, mit Krawatte und Mantel. Dazu die Haare frisch kurz geschoren und mit einrasiertem Scheitel. Ein geschäftlicher Termin stand an und ich hatte Lust auf Seriosität.
Nach 100 Metern in schnellem Schritt stellt sich mir ein Eichhörnchen in den Weg. Das putzige Eichhörnchen ist imposante 1,60 m groß und wankt ganz leicht. Sein buschiger, braunroter Schwanz wippt hin und her. Zwei müde Augen betrachten mich interessiert von oben nach unten.
„Coole Verkleidung.“
Aha, ein Eichhörnchen-Weibchen.
„Geheimagent? Bond? Sehr schick.“
Ach ja. Stimmt. Da war was. In den letzten Tagen begegne ich wieder vermehrt Piloten, Krankenschwestern, Cowboys und Spontan-Zugereisten auf der Straße. Es ist Karneval in Kölle.
„Genau. Ich bin Bond. James Bond. Aber verrate es niemandem.“
Das Eichhörnchen kichert.
„Wo feierst du heute denn Karneval, James?“
„In einem konspirativem Büro in der Innenstadt. Mit einem Kollegen vom MI5. Wir lassen es da richtig krachen. Es gibt frischen Kaffee. Und dazu gibt es einen Fingerbreit Scotch.“
Das Eichhörnchen kichert noch mehr, gerät ins Wanken und verliert dabei fast das Gleichgewicht. Ich ergreife stabilisierend ihre zierlichen Handgelenke. Sofort kehrt das Gleichgewicht zurück. Das Eichhörnchen lächelt mich dankbar an.
„Also feiern Geheimagenten auch Karneval?“
Aus dem Augenwinkel sehe ich die Tür der Eckkneipe neben mir aufspringen. Ein Mann stürzt heraus und zwischen dem Wank-Hörnchen und mir hindurch. Er trägt eine ehemals weiße Reiteruniform und hat einen hochrotem Kopf. Er sinkt direkt vor den Treppen zur nahen U-Bahnstation Florastraße auf die Knie und schenkt seinem Mageninhalt lautstark die Freiheit. Mehrere Fußgänger weichen zurück. Tja, die Garde gibt einfach alles, das muss man ihnen lassen. Eine junge Frau mit vor die Brust geschnalltem Kind weicht ihm auf dem Weg in den Untergrund aus und zischt ihm ein „Versoffener Penner“ zu. Das hört sich witzig an, weil sie sich ihre Nase und die ihres Kindes dabei zuhält.
Das Eichhörnchen nimmt das Geschehen wankend aber wortlos zu Kenntnis und wendet sich wieder dem Angestellten des Geheimdienstes Ihrer Majestät zu. Der antwortet brav auf die gestellte Frage.
„Wir dürfen feiern, haben aber viele Vorschriften zu beachten. Die wichtigste ist: Mindestens 100 Armlängen Abstand zum nächsten Karnevalisten. Besser sind 1.000. Aus Sicherheitsgründen. Das ist aber schwer umzusetzen.“
Ich blicke auf den ausgepumpten Gardisten. Das Eichhörnchen lauscht schwankend-interessiert meinen Worten.
„Die Dienstvorschrift besagt: Rechtzeitig einkaufen! Am besten für eine Woche im Voraus. Dann Stacheldraht ums Haus und Hinweisschilder am Eingang anbringen: Kostümierte leben kürzer. Dann meditieren. Die Ruhe genießen. An die Queen denken. Das Gefühl genießen, dass nicht weit entfernt viele Menschen jetzt sehr glücklich sind. Und ich auch, weil ich woanders bin. Und Engländer.“
Ich grinse sie an und blicke dann demonstrativ auf mein rechtes Handgelenk. An dem keine Uhr sitzt. Ich will eine gewisse Dringlichkeit zum Ausdruck bringen. Leider kommt diese Geste nicht an. Im Gegenteil: Das Eichhörnchen streckt seine Arme aus und drückt sie die Hände auf die Brust.
„Du bist mir viel zu nahe! Mindestens eine Armlänge Abstand halten!“
Eine Hand umschließt meine Krawatte und zieht mich in Richtung des Eichhörnchen-Kopfes. Der Geruch nach Kölsch in verschiedenen Stadien der Verdauung fährt mir aus einem grünlich geschminkten Mund ins Gesicht. Das ist Mund-zu-Tier-Beatmung. Oder andersrum?
Schmatz.
Der Kuss ist nicht übel. Sehr intensiv. Geschmacklich wäre dem kleinen Baumbewohner aber mal die intensive Nutzung einer Zahnbürste anzuraten.
„Goodbye James.“
Die Hand lässt meine Krawatte los und das Eichhörnchen giggelt. Ich muss erst mal ganz tief ein- und ausatmen. Das ist aber der falsche Ort dafür. Es duftet nach Biertier und Garde-Magen.
„Goodbye, kleines Eichhörnchen. Möge dein Fell immer goldig glänzen.“
Jetzt brauche ich erst mal ein Kaugummi.
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