„Wie, du hast gestern rumgeknutscht? Gestern? Aber Karneval ist doch schon längst vorbei!“
„Ja, aber ich feiere Karneval doch gar nicht. Zu viele Menschen, zu eng, alberne Musik, alle sind dicht und riechen komisch. “
„Ah, ok. Kein Karneval? Du Armer.“
„Nein, gar nicht. Ich genieße diese Abstinenz sogar. Ich meditiere und freue mich, dass es den Menschen um mich herum so gut geht.“
„Interessant. Dann bist du ja quasi gezwungen, außerhalb der Karnevalszeit rumzuknutschen.“
„Richtig. Mir bleibt ja gar nichts anderes übrig. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mann der außerhalb der Karnevalssaison rumknutscht.“
„Das ist ja krass: Ein Mann, der nur außerhalb der Karnevalssaison rumknutscht. Und das in Köln. Bist du am Brünfteln?“
„Bin ich am was?“
„Am Brünfteln. Habe ich neulich irgendwo aufgeschnappt. Das bedeutet, dass Männer, sobald die ersten Sonnenstrahlen rauskommen, Frühlingsgefühle kriegen und entsprechend, ja, eben brünfteln. Und dabei komische Geräusche machen.“
„Ich mache schon seit längerem zwischendurch komische Geräusche. Aber sehr ästhetische komische Geräusche. Ästhetik ist mir sehr wichtig.
Aber brünfteln? Ich wüsste nicht, dass ich Brunftschreie von mir gebe. Jedenfalls nicht bewusst.“
„Hast du denn Frühlingsgefühle?“
„Nein, eher die ersten Anzeichen von Allergie. Sobald die ersten Sonnenstrahlen rauskommen, sammeln meine Schleimhäute sehr gerne massenhaft Pollen. Das steigert die Produktion der Taschentuchindustrie und belastet gleichzeitig meine Lebensqualität. Und mein Geruchs- und Geschmackssinn . “
„Böse Sache. Geruch und Geschmack sind wichtig.“
„Ja. Dann schmecken auch Küsse ganz anders. Irgendwie verfremdet. Ich habe das Gefühl, dass mein Gaumenzäpfchen bei Zungenküssen ganz schnell wund wird. Kann das sein?“
„Ja, durchaus. Das kann von der rauen Zungenoberfläche deiner Kusspartnerin kommen. Die Oberfläche der Zunge kann teilweise wie Schmirgelpapier sein. Und oft ist die Zungenspitze sehr spitz ausgeformt. Nach Karneval war mein ganzer Mundraum wund und zerstochen. Und das kommt nicht vom Alkohol. Ich glaube, das Fachwort dafür heißt Rachenbrand. Oder Mundwund. Oder Innenrund? Oder so ähnlich. Keine Ahnung. Jedenfalls gibt es sowas.“
„Wusste ich gar nicht. Ich dachte immer, Rachenbrand wäre ein billiger Schnaps. Das ist ja schrecklich. Das ist ein weiterer Grund für mich, Menschenansammlungen an Karneval zu meiden. Ich könnte mir einen ausgewachsenen Rachenbrand gar nicht leisten. Ich könnte keinen Riesling mehr dem richtigen Weinbaugebiet zuordnen, wenn die Geschmacksnerven so irritiert und das Zäpfchen wundgescheuert ist.“
„Ein Freund von mir ist Zahnarzt. Der sagt, nach Karneval ist seine Praxis voll wie nie. Alle haben einen wunden Mundraum. Und riechen auch so. Selbst seine Helferinnen riechen nach Fusel. Und sind ungewöhnlich nachlässig geschminkt.“
„Schminken ist auch so ein sensibles Thema bei Frauen. Eine Bekannte aus dem nördlichen Rheinland muss sich vor jedem Küssen erst abschminken. Sonst sieht ihr Typ aus wie nach einem Unfall im Bräunungsstudio.“
„Das hört sich sehr aufwendig an. Ein spontaner Knutscher ist da wohl nicht drin?“
„Nee, nee, das geht gar nicht. Aber sie sagt, das wäre ok so.“
„Schön für sie… .“
„Für mich wäre das nichts. Ich mag keine lange Vorlaufzeit beim Küssen. Und ich will die Zeit morgens im Bad auf das Minimum verkürzen.“
„Kurze Vorlaufzeiten sind wichtig. Wenn die Zunge zuckt, sollte man ihr folgen.“
„Das ist ein guter Ansatz. In der Zungenspitze sitzt ja angeblich so was wie ein Kompass, der die Richtung zum nächsten Kuss anzeigt. Das ist wie bei den Vögeln, die den Weg ins Warme durch den inneren Kompass im Schnabel finden. Nur haben wir Menschen verlernt, diesen Kompass zu lesen. Das macht alles so kompliziert.“
„Und wenn dann noch das Zäpfchen im Rachen wund ist, drehen wir uns ziellos im Kreis.“
„Aber da hilft fasten. Meditieren. Und etwas Enthaltsamkeit. Dann stimmt die Kompassanzeige wieder.“

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