Buchläden sind großartig. Ich schmökere gerne und genieße die wunderbare Haptik eines guten Buches und den Geruch frisch bedruckter Papierseiten. Allerdings blicke ich nicht ganz durch, nach welcher Systematik Sachbücher  zusammengestellt werden. Im Regal steht Depression neben dem Thema Liebe, Häkeln neben Kraftsport, Kinderbasteln neben Psychose. Das ist alles etwas verwirrend.

Unter der Überschrift Gut für mich finden sich Bücher über Das Loslassen in Stressphasen, Tausend Wege zum Ich – und jede Menge Fachliteratur zum Thema Darm. Also Verdauung. Das ist eigentlich verwunderlich. Gehören nicht eigentlich die Themen Ernährung und Verdauung im Hinblick auf diese, meist aufeinanderfolgenden, Prozesse zusammen? Das wäre doch sinnvoll.

Seit Jahren boomen Kochbücher- und Shows. Jeder Mensch, der einen Kochlöffel richtig herum halten kann, ein bartähnliches Gebilde im  Gesicht und ein Einweg-Tattoo auf dem Oberarm hat, kriegt eine eigene Koch-Show. Das Überangebot nervt etwas. In diesem Bereich wird jede noch so kleine  Nische besetzt. Die Buchtitel auf dem großen, runden Tisch mit dem Schild Kochbücher sprechen für sich: Das glückliche Elefanten am Spieß-Kochbuch, Vegane Ernährung für glückliche Single-Frauen, Lecker kochen mit Separatoren-Fleisch, Fasten mit Nutella. Da ist doch für jeden was dabei.

In meiner Küche stehen vielleicht eine Handvoll Kochbücher, die ich aber nur noch selten in die Hand nehme. Trotzdem ist Kochen fast so was wie ein Hobby geworden. Ich kann mittlerweile die drei wichtigsten mediterranen Gerichte aus dem Stegreif zubereiten: Nudeln, Pizza und Espresso. Die Bestandteile von Pizzateig kenne ich mittlerweile sogar auswendig. An besonders kreativen Tagen kombiniere ich auch gerne. Nach dem Genuss eines Pizza-Blechs kann ein vierfacher Espresso nicht schaden. Im Gegenteil, der Espresso wirkt dem unvermeidlichen Suppenkoma wirkungsvoll entgegen. Zuviel Espresso regt allerdings die Darmtätigkeit an. Ein weiterer Hinweis, dass die Kochbücher mit den Darmbüchern im Buchhandel fusioniert werden sollten.

Vor ein paar Tagen war ich bei Freunden zum Abendessen eingeladen. In deren Küche thront  eine eindrucksvolle Batterie von Kochbüchern direkt oberhalb der Arbeitsplatte. Diesmal fiel mir sofort ein Neuzugang auf. Das Buch hieß (glaube ich): Dein Freund, der Darm. Kaum hatte ich das Buch erblickt, stand auch schon  die Gastgeberin Claudia neben mir:

„Das Buch ist toll. Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. Ich werde, nein, ich meine, wir werden unsere Ernährung etwas umstellen. Etwas Verzicht bringt so viel Lebensqualität.“

„Das ist ja toll. Weiß Achim schon davon?“

Sie grinste und wiegte das Rotweißglas hin und her.

„Du kennst ihn ja. Er braucht etwas Zeit für Veränderungen. Er isst einfach zu viel Fleisch. Das weiß er auch.“

Ich erkannte sofort das immense Konfliktpotential bei diesem Vorhaben. Aber ich wollte mich nicht in die Darmplanungen in meinem Freundeskreis einmischen und schwieg zunächst. Dann berichtete ich Claudia, wie ich kürzlich in einem Café eine Frau kennengelernt hatte. Das Gespräch mit ihr war kurz und sehr, sehr  intensiv. Ich hatte nach dem ersten Hallo gleich von einem geilen Abendessen im Burgerladen nebenan berichtet. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich augenblicklich. Ich führte das auf plötzlich einsetzende, sehr rege Darmtätigkeit infolge falscher Ernährung zurück und sagte:

„Ist dir schon aufgefallen, dass es immer mehr Bücher zum Thema Darm und Verdauung gibt? Bald gibt es so viele Bücher über den Darm wie Bücher zum Thema Grillen.“

Ich lachte. Dann stellte sich schnell heraus, dass sie sich ausschließlich vegan ernährt. Ich wiederhole: STRENG vegan. Ich wurde kurz und heftig über die Bedeutung veganer Ernährung auf eine gesunde Verdauung und den Lauf der Planeten in diesem Sonnensystem unterwiesen. Dann stand sie wutentbrannt auf und verschwand. Und ließ ihren fast unberührten veganen Tee zurück. Puh.

Claudia blickte mich etwas nachdenklich an.

„Hey, ich werde niemandem etwas aufzwingen. Wir schauen mal, wie sich die Ernährungsumstellung entwickelt.“

Ich blickte versonnen auf den Balkon, wo Achim freudestrahlend Steaks auf dem Grill wendete und sich nach jedem erfolgreichen Wendevorgang ein Schlückchen Bier gönnte. Er wirkte rundum glücklich. Und so sah er auch aus.

„Ich wünsche euch bei diesem Projekt viel Erfolg.“