Wie jedes Jahr im Frühling merke ich auch aktuell einige auffällige Verhaltensänderungen bei der Spezies Mensch. Betroffen sind überwiegend männliche Singles. Aber auch liierte Männer soll es schon erwischt haben. Die Symptome sind ein verstärkter Ausschau nach dem anderen Geschlecht, leichte bis mittelschwere Orientierungslosigkeit bis hin zu Schaum vor dem Mund. Natürlich werden jetzt einige Leser sagen: „Das gilt doch für Frauen auch. Und zwar ganzjährig.“ Gut, dass kann ich nicht abstreiten. Im Gegenteil: Da sind die Symptome sogar noch stärker ausgeprägt. Wie ich erfahren musste.
Gestern saß ich vor einem meiner Stamm-Cafés in der warmen Frühlingssonne. An einem der Nachbartische lümmelte eine hübsche junge Frau cool vor sich hin. Eine überdimensionierte Sonnenbrille, eine sogenannte Fliegenaugenbrille, dominierte ihr zart-bleich geschminktes Gesicht. Die Haare waren aufwendig zu einem lässig-dekorativen Haarhaufen auf dem Kopf verknotet. Weiße Bluse, hellblaue Jeans, weiße Turnschuhe. Ein Achtziger-Jahre Outfit wie aus dem Katalog.
Sie blickte in kurzen Abständen nach links und rechts. Unter ihrem Tisch döste ein grau-felliger kleiner Hund vor dich hin. Der Hund wirkte ausgeglichen. Das Wasser aus dem Napf vor ihm und die warme Sonne genügten ihm. Sein Frauchen wirkte eher unterzuckert. Ihr Kaffee und die warme Sonne reichten ihr nicht. Etwas hektisch zündete sie sich eine Zigarette nach der anderen an. Bevor zwei Drittel der Länge eines Glimmstängels abgeraucht waren, drückte sie die Kippe aus.
Mir schien, sie suchte etwas. Dabei war sie sehr zielorientiert. Bevor ich meinen ersten Kaffee ausgetrunken hatte und den Zweiten ordern konnte, hatte sie einen entspannt wirkenden Typen an einem Nachbartisch angesprochen und zum Smalltalk gezwungen. Nach etwa einer Minute zwanglosem Smalltalks wechselte sie beiläufig an seinen Tisch. Der Typ grinste erfreut.
Ihr Hund war an ihrem alten Tisch angebunden und döste. Ich vermute, er hatte ähnliches schon mal erlebt und blieb gelassen.
Es fing gut an für beide. Der Typ ging gern auf das ihm aufgedrängte Gespräch ein. Ist ja klar. Die Sonne scheint, eine hübsche Lady kommt an deinen Tisch. Cool. Läuft.
Nach wenigen Minuten wurde er aber etwas einsilbig. Sie redete laut und viel. Aus dem Spontan-Date wurde ein Zwangs-Date. In seinem Gesicht konnte ich sehen, wie die Erkenntnis wuchs, dass diese Frau nicht nur hübsch, sondern auch etwas laut und etwas sehr anstrengend war. Das halbe Café-Publikum verfolgte das Gespräch zwangsweise mit einem halben Ohr. Einige blickten irritiert die extrovertierte Frau in Frühlingsstimmung an. Ihr Opfer war sehr ruhig geworden. Er redete nur noch sporadisch:
„Oh. Ja? Hm.“
Ich musste grinsen und genoss die Schadenfreude. Das Leben kann so schön sein. Mein amerikanischer Schokoladenkuchen wurde gebracht. Mit der Gabel trennte ich ein breites Stück vom Kuchen ab und erlebte eine wahre Schokoladenexplosion in meinem Mund. Und das während der Fastenzeit. Ich fühlte mich schlecht. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Ihr Redeschwall hörte nicht auf. Sie berichtete von ihrem stressigem Job, dem Kind ihrer besten Freundin und das Männer immer so zurückhaltend bei ihr seien. Die Arme.
Aber was war das? Der Typ orderte in einem Akt der Verzweiflung die Rechnung. Die Kellnerin kam, er zahlte seinen Kaffee, trank den Kaffee hastig aus, stand auf und verabschiedete sich mit den Worten
„Du, ich muss weg. Wünsch dir einen schönes Wochenende.“
Die Fliegenaugenfrau war perplex. Sie brauchte in paar halbe Zigaretten um den plötzlichen Abgang zu verdauen. Dann wechselte sie wieder zu ihrem alten Tisch. Und schwieg. Rund um mich war ein Aufatmen zu hören. Für ein paar Sekunden sprach niemand. Alle lauschten wieder den Geräuschen es Frühlings: Das Gezwitscher der Vögel, das sachte Klirren von Löffeln in Porzellantassen, lachende Menschen. Ruhe und Gelassenheit kehrten zurück.
Ich bemerkte, dass mich der kleine Hund anstarrte. Nein, nicht mich. Der Kuchen zog seinen Blick magisch auf sich. Ich senkte die Gabel mit einem Stück des wunderbaren Kuchens darauf und bewegte sie langsam hin und her. Die Augen des Hundes folgten gebannt der süßen Versuchung. Er robbte ein Stück näher. Seine Nase roch etwas Leckeres. Wie süß.
Ich lachte und aß den Kuchen auf. Langsam und genussvoll. Das war gut. Ach ja, Kaffee, Kuchen, die Sonne lacht. Ich schloss die Augen für ein paar lange Minuten und war ganz bei mir.
Aber ich fühlte mich beobachtet. Und so war es auch. Der Hund. Er blickte mich immer noch an. Aber er saß nun auf dem Schoß seiner Besitzerin und wurde von ihr gestreichelt. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgesetzt und lächelte mich mit Nachdruck an.
Oh Nein.
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