Was ein netter Tag. Ich sitze mit Petra, einer guten Freundin, in der warmen Frühlingssonne vor einem Weinlokal. Wir haben uns lange nicht gesehen und es gibt viel zu erzählen.
„Claire-Hedwig! Pass auf, da liegen Scherben!“
Ach ja, ihre Tochter Claire-Hedwig ist auch mit dabei. Der kleine Sonnenschein. Sie spielt lautstark mit den anderen Kindern in dem Sandkasten auf dem ansonsten zubetonierten Platz. Aktuell hat sie einem kleinen Jungen sein Förmchen entwendet und schleudert damit Sand in die Luft. Der Junge ohne Förmchen weint sofort los. Zum Glück sitzen wir weit genug entfernt und damit außerhalb des Sandstreuradius.
„Bei uns läuft es wieder gut. Das Haus ist endlich fertig.“
Sie strahlt und hebt ihr Rotweinglas zum Anstoßen.
„Na dann: Auf eine gute Zeit in der neuen Höhle.“
„Zum Wohl.“
Ich blicke auf das Etikett der Rotweinflasche. Da steht ja Illuminati. Aha. Bei denen geht es doch irgendwie um Erkenntnisgewinn. Oder nicht?
Ich bin neugierig. Ich kann mir nicht vorstellen von der Stadt aufs Land zu ziehen. Da ist es mir zu ruhig und viele schöne Dinge, die zusammengenommen Inspiration in mir auslösen, wären nicht da.
„Hand aufs Herz: Fühlst du dich da draußen wirklich wohl? Das Kaff, bitte entschuldige den Ausdruck, liegt ziemlich weit draußen.“
„Ja, doch. Es ist okay. Es ist ruhig, die Kita ist keine 5 Minuten entfernt und der Weg zur Arbeit ist kürzer als vorher. Die Leute da sind auch nett.“
„Fehlt dir nicht die Stadt, Kneipe, Kino und so was?“
„Manchmal, aber nur wenn ich einen Durchhänger habe, ja. Aber das ist wirklich selten. Es ist immer irgendwas los bei uns. Enrico fühlt sich auch wohl. Ihm war es in der Stadt immer zu laut.“
Enrico ist ja auch sehr, sehr sensibel. Er arbeitet als Headhunter und beginnt jedes Personalgespräch mit dem Satz: „Wer nicht belastbar ist kann direkt gehen!“ Er hasst seinen Job und liebt sein Kind. Leider treibt die Kleine ihn regelmäßig in den Wahnsinn. Petra hat gewissermaßen zwei Kinder in ihrer Obhut. Aber sie schafft das. Tatkraft in Verbindung mit sehr geringem Schlafbedürfnis und einem gut gefülltem Konto ist eine gute Kombination.
Der kleine Junge hat sich aufgerappelt und bewirft nun Claire-Hedwig und einen anderen Jungen erbost mit Sand und heult noch mehr. Sofort springen zwei Mütter auf und rufen ihr Kind zur Ordnung oder wollen es trösten.
„Jonathan! Bist du von Sinnen? Lass das sofort sein!“
Hat die Mutter des anderen Jungen ihn gerade „Cedric-Matcha“ genannt? Dann sind Frodo, Gandalf und Chantal-Mystique wahrscheinlich auch nicht weit. Ich habe neulich ein Lied von Gleis 8 gehört. Da kommt der Satz vor: Hat noch niemals ein Kind dein Herz berührt. Oder so ähnlich. Im Moment berühren die Kinder vor allem die doch sehr dünnen Nervenkostüme ihrer Erzeuger. Mit Schleifpapier. Petra hat meinen Blick auf die nahen Geschehnisse wohl etwas missverstanden:
„Das Durcheinander gefällt dir, nicht wahr?“
Ich muss fast laut loslachen, verschlucke mich aber an dem etwas schweren Rotwein. Wein in der Speiseröhre. Doof. Aber ich grinse trotzdem.
„Nein, nein. Es ist sehr schön so wie es ist. Und es wird ja immer besser.“
Ich huste nochmal, Petra klopft mir auf den Rücken. Das Geschrei der drei Kinder nimmt orkanartige Ausmaße an. Claire-Hedwig hat das mit Sand gefüllte Förmchen Jonathan auf den Kopf gehauen. Cedric-Matcha sitzt im Sand und versucht erfolglos, eine kleine Handvoll davon der Förmchen-Attentäterin in den Mund zu stecken. Diese revanchiert sich mit einem Fußtritt.
Petra springt auf und sprintet zum Sandkasten. Claire-H. muss sich rechtfertigen, heult stattdessen aber lautstark und nennt die anderen Kids „Sand-Dilettanten“. Nicht schlecht für eine Dreijährige. Enrico sagt oft „Dilettanten“, wenn er von seinen Kollegen spricht. Allerdings nur bis zum dritten Bier. Dann schweigt er beharrlich bis zum Absturz etwa zehn Getränke später.
Jetzt wird es richtig laut: Es kommt zum Streitgespräch unter Müttern. Sie schaffen es spielend, ihre Kinder zu übertönen. Jonathan versucht auf allen vieren auszubüchsen, wird aber von seiner Mutter mittels eines Handgriffes auf der Rückseite seines Strampelanzuges daran gehindert. Wie praktisch.
Ich sehe mir die Flasche genauer an. Tatsächlich, der Rotwein ist ein Illuminati-Rotwein. Steht auf dem braun-lila Etikett. Ich bin kein Rotwein-Kenner, aber der hier ist vollmundig, fast beerenartig und ziemlich schwer. Kein Wunder, dass die Illuminaten damit die Kirche an den Rand des Zusammenbruchs geführt haben. Zwei Gläser davon und auf der Stirn steht Game over.
Ich würde jetzt gerne den drei Frauen im Grenzbereich ein paar Gläser davon anbieten. Das sollte reichen um die Situation zu entspannen. Ich würde mich aber niemals in Erziehungsfragen einmischen. Ich kenne mich da nicht aus und bin nicht belastbar. Außerdem mag ich Weißwein lieber.
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