Der Budda schaut mich an. Obwohl, er hat ja die Augen geschlossen. Aber er grinst. Ich weiß auch warum. Aber ich greife vor. Spulen wir etwas zurück.  Ja, ich habe einen Bonsai-Baum erstanden. Und der Budda saß drin. Also ich meine in dem Topf mit dem Bonsaibaum. Und der Bonsai-Baum mit dem Budda drin im Topf wartete bei einem niederländischen Blumenhändler auf dem Nippeser Strassenfest auf Rettung. Ich liebe mein Veedel, aber das Straßenfest ist der audiovisuelle Tiefpunkt des Jahres.

Aber zurück an den Anfang: Am gestrigen Mittag bin ich auf dem Weg zum Markt die Straßenfest-Route abgelaufen und mir fiel im Vorbeigehen ein Stand auf, an dem Umhängetaschen verkauft werden. Ich beschloss zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen. Seit einigen Jahren versuche ich eine funktionale sowie optisch attraktive Umhängetasche zu erstehen. Aber es will nicht gelingen.

Dann kam der späte Nachmittag. Ich traute mich vor die Haustür. Aha, die Straße ist auf mehreren hundert Metern gesperrt. Ein Ordner mit krebsrotem Gesicht hockt apathisch am Straßenrand und passt auf, dass niemand die Absperrungen entwendet oder auf der Flucht vor der Schlagermusik aus den Boxen gegen die Absperrungen taumelt und diese beschädigt. Daneben stehen ein paar begeisterte Fussballgucker vor einer Kneipe. Auch mit rotem Gesicht. Die Hautfarbe beim Ordner und den Fans ist sehr ähnlich, hat aber unterschiedliche Ursachen. Der Ordner hat den ganzen Tag in der Sonne zugebracht. Die Fans im Schatten der Kneipe. Einmal witterungsbedingte Einflüsse, einmal Flüssigkeitszufuhr aus Reagenzgläsern. Das Ergebnis ist zumindest optisch gleich.

Anscheinend besuchen dieses Straßenfest vorwiegend Menschen, die den Rest des Jahres in Sonnenbänken eingeklemmt sind. Die Arme dürfen sie aber ab und zu aus der Sonnenbank halten – und sofort fängt ein farbenblinder Tätowierer an, Adler, Autos und Pferde mit schielenden Augen auf den Oberarm zu stechen. Mit zitternder Hand. Viele Adler sehen etwas asymmetrisch aus und das Gefieder hat deutliche Verlaufsspuren von blauer Farbe. Das gibt es bestimmt nicht oft in freier Wildbahn.

Viele Frauen tragen pinkfarbene Shirts oder eine Farbe, die vor zwanzig Jahren mal pink gewesen sein könnte. Die Männer tragen blaue Jeanshemden zu blauen Jeans. Das ist gewissermaßen das verwaschene Pink für den Mann von Welt. Sollte die Menschheit irgendwann einen anderen Planeten besiedeln um der Zerstörung der Erde zu entgehen, werden die pink-blauen irdischen Lebensformen bestimmt zu Schlümpfen mutieren.

Ich erreiche den Taschen-Stand. Ein Berg von Umhängetaschen aller Größen und Farben türmt sich vor mir auf. Ich türme aber nicht sondern gehe die Besteigung beherzt an. Ich nehme das Angebot unter die Lupe. Was sich am Mittag aus der Ferne als mögliche Variante zum Kauf anbot, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als dunkelgrüne Mülltüte mit Reißverschluss und Tragegurt. Darauf pragt ein Logo. Das soll wohl Vogueleather heißen. Es handelt sich also um modische Mülltüten aus grünem Stoff und Leder, garniert mit Reißverschluss und Tragegurt. Praktischerweise ist die Tasche bis oben hin mit Plastik vollgestopft. Dann kann man sie nach dem Kauf direkt wegwerfen. In die gelbe Tonne. Da fällt mir ein: Im Innenhof meines Wohnhauses steht eine gelbe Tonne, auf der ein Aufkleber mit der Abbildung eines Adlers drauf ist. Ich muss nachher mal nachsehen wie das Gefieder aussieht. Wahrscheinlich ein Braunton, der an gegerbtes und verblichenes Leder erinnert.

Direkt neben dem Müllbeutelstand ist ein Stand mit Uhren. Das sieht schon von weitem sehr hochwertig aus. Ein handgemaltes Schild informiert die Kunden, dass die Armbänder kein Nickel enthalten. Zwei farbige Frauen stehen hinter dem Tisch mit den Uhren und unterhalten sich. Ich habe eine Idee.

 „Haben sie auch Uhren mit nickelhaltigem Armband? Ich vertrage die nickelfreien Armbänder nicht. Wenn ich so eines anhabe und dann glutenfreies Müsli esse, kriege ich sofort Ausschlag.“

Die Frau ist verblüfft. Sie schaut erst auf die Auslage und fragt dann ihre Kollegin in einer fremdländischen Sprache etwas. Diese schaut auf das sehr hochwertige Angebot an Uhren und schüttelt den Kopf.

Ich gehe weiter. Da, es grünt! Mitten zwischen den Ständen voller Gyros, Popcorn, Mandeln, Ledergürteln und Luftballons auf der linken Seite  der Straße, steht eine große Ansammlung von Topfpflanzen. Alles, wirklich alles an Grünzeug ist einem Topf platziert worden.  Also eingetopft. Jede Pflanze für sich. Der Ficus da sieht doch gut aus. Für acht Euro zumindest. Sollte ich meine Schreibhöhle mit sanftem Grün etwas aufmotzen? Der Natur mehr Raum geben? Auch in meinen unmittelbarem Lebensumfeld? Grün und nicht alternativ sein, geht das? Ja sicher. Ich kann das.

Da fällt mein Blick auf die Bonsai-Bäumchen. Ich hatte vor Jahren mal einen Bonsai. Trotz guter Pflege, Wasser, viel Licht und regelmäßiger Konversation mit ihm ist dieser eingegangen. Dieser Bonsai hier sieht gut aus. Er ist saftig Grün und die Wurzeln sind interessant verschlungen. Wahrscheinlich wurden die Bonsai in einem Raum zusammen mit Marihuana-Pflanzen gezüchtet und zwischenzeitlich stand eine partielle Brandrodung an weil die Staatsgewalt überraschend auftauchte. Die Dämpfe müssen die kleinen Bonsai ziemlich verwirrt haben. Da können Wurzeln schon mal verrutschen.

Ich nehme den Bonsai und zahle 15 Euro. Jetzt erst sehe ich das Schild direkt vor mir: Mini-Bonsai mit Budda, 15 Euro. Wahrscheinlich habe ich gerade den Glauben an Wachstum gekauft. Den des Bonsai und meine eigene Entwicklung. Jetzt sitzt der Budda im Schneidersitz auf dem Fensterbrett unter einem Bonsaibaum und schaut mich an. Er sieht zufrieden aus. Ich bin es auch.