Ok, einen Versuch ist es wert. Ich bin sowieso etwas faul geworden. Ich wurde eingeladen, eine neue Form des Sporttreibens und Fit-werdens auszuprobieren. Fit werden durch Stromstöße. Die Stromstöße reizen die Muskulatur angeblich zu intensivem Wachstum. Das ist doch genau richtig für die gestresste Fitnessgeneration unserer Tage. 60 Stunden die Woche im Büro abhängen und dann mal eben 20 Minuten Strom absorbieren. Und schon sieht man gesund und fit aus. Fehlt nur noch etwas Sonnenbad im Assi-Toaster.
Eigentlich jogge ich ja ganz gerne. Am liebsten auf dem Laufband im Fitnessstudio. Das ist das sogenannte reaktive Laufen. Das Laufband bewegt sich und ich muss mich bewegen, um nicht das Laufband hinterrücks fallend zu verlassen. Das ist ein guter Anreiz zur Bewegung. Aber das Fitnessstudio ist mit dem Fahrrad in etwa 10 Minuten zu erreichen. Das bedeutet: Bewegung vor der Bewegung. Das bereitet mir mental etwas Probleme. Bewegung und Anstrengung sollte fokussiert, also gebündelt, stattfinden.
Der Laden ist recht übersichtlich. Zwei mittelgroße Räume. In beiden Räumen stehen diese komischen Maschinen mit Verkabelung.
Die mir zugeteilte Trainerin lächelt mich an. Sie ist optisch ein Genuss. Lange Haare, weiße Zähne, durchtrainiert bis zur Perfektion. Ihre anmutigen Rundungen werden durch das enge schwarze Sportdress visuell deutlich betont. Sie fragt mich:
„Wie möchten sie aussehen?“
Ich schaue auf das Plakat vor mir an der Wand. Fit durch Strom in 20 Minuten. Ich antworte:
„Medium bis Rare.“
Sie lacht.
„Das kriegen wir spielend hin. Die Ausgangslage ist ja sehr positiv.“
Flöt, flöt. Spielend hört sich gut an. Ich lerne erfahrungsgemäß am besten, wenn ich mich einer Thematik spielerisch annähere. Ohne Zwang, nur durch Interesse an der Sache. Dann ist die Lernkurve nicht zu verachten.
Ich ziehe ein schwarzes Stromfitnessdress an und werde verkabelt. Brust und Arme sollen zuerst verstromt werden. Neben mir macht eine Frau um die Fünfzig gerade Beinübungen. Sie schwitzt und ihr Gesichtsausdruck zeigt deutliche Anzeichen von Belastungen. Es riecht ein bisschen wie beim Angrillen. Plus Angstschweiß. Sie wird sich auch gedacht haben: Pro Trainingseinheit nur 20 Minuten. Muskeln aufbauen durch Stromstöße. Die Idee hört sich super an.
Stimmt, sieht aber bescheiden aus. Und jetzt bin ich dran.
„So, ich schalte jetzt das Gerät ein. Merken sie eine Veränderung?“
Ja, ganz deutlich. Ich fühle mich sehr dämlich. Wenn jetzt jemand durch die große Frontfensterscheibe reinguckt, denkt er bestimmt, ich werde ferngesteuert. Da steckt doch bestimmt Nordkorea oder sogar die Illuminaten dahinter.
„Es kribbelt etwas am Oberarm. Ich merke auch, wie mein Gaumenzäpfchen vibriert.“
Sie lacht wieder dieses laute, zahn-weiße Lachen. Fitnesstrainer haben immer weiße Zähne. Und viel mehr Zähne als untrainierte Menschen. Menschen, die mehr als 32 Zähne im Mund haben, müssen Fitnesstrainer oder Fitnessstromtrainer werden. Sobald ein Zahnarzt sagt: „Aha, da kommen ein paar Extrazähne“, wachsen bei Männern die Muskeln und bei Frauen die Muskeln, die Brüste und die Haare werden automatisch geheimnisvoll dunkel-glänzend und lang.
Die überzähligen Zähne sind nämlich Lächel-Zähne. Diese hat die Natur geschaffen, damit die Kunden in Fitnessstudios aufmunternd angelächelt werden können. Nur der knallrote Lippenstift muss noch für eine Karriere im Bereich des sportlichen Wohlbefindens ergänzt werden. Bei Männern reicht die Anschaffung eines Muskel-Shirts.
Bilde ich mir das nur ein, oder steigt gerade die Temperatur im Bizeps?
„Ja, da tut sich was. Aber das ist nicht Anspannung, wie sie beim normalen Hanteltraining auftritt.“
Ich sehe sie fragend an. Sie lächelt mich an. Ich glaube, dass Fachwort für Fitnesszähne ist White Wall of Fitness. WWof ausgesprochen.
„Das ist beim ersten Mal etwas ungewohnt, weil der bekannte Bewegungsablauf und die Anstrengung durch die Haltearbeit für die Hantel so nicht da ist.“
Das könnte sein. Wenn ich die morgens die gewohnten Bewegungsabläufe an der Espressomaschine nicht ausführen kann, fühle ich mich den Rest des Tages müde und entkoffeiniert. Ich schüttele mich bei dem Gedanken. Meine Trainerin registriert dies sofort und schaltet das Gerät ab. Es fließt kein Strom mehr. Ich kann mich aber bewegen.
„Alles Ok?“
Sie schaut mich aus riesigen weißen Augen mit grün-blauen Zentren an. Wow.
„Alles gut. Mir wurde nur gerade etwas Weiß vor Augen. Aber ich merke schon, wie die Muskeln wachsen. “
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