Ich bin aufgeregt. Acht begeisterte Zuhörerinnen, drei Kisten Prosecco und ich. Mit meinem Buch in der Hand darf ich heute Abend meinen Ruf als aufstrebender Autor untermauern. Ich muss liefern.

Bisher war das irgendwie nicht mein Tag. Heute Morgen habe ich meine Waschmaschine bestückt und um ein Haar Olivenöl statt Waschmittel eingefüllt. Im letzten Moment fiel mir auf, dass der Geruch des Waschmittels hinsichtlich der Frische nicht meinen Erwartungen entsprach. Und ich dachte: Jetzt ein schöner Tomate-Mozzarella Salat. Der würde mit dieser grünen Flüssigkeit bestimmt gut harmonieren. Dann fiel mir auf, dass Waschmittel im Regelfall nicht in grüne, eckige Glasflaschen abgefüllt wird.

Ich blicke in die Runde. Die Stimmung ist gut – im Durchschnitt. Mehr als die Hälfte der Anwesenden kennt ein paar meiner Geschichten. Besonders die unter dem Schlagwort „Frauen“. Aber mindestens eine der Damen ist mir kritisch gegenüber eingestellt. Sie sitzt ganz rechts im Halbrund, hält ihr Rotweinglas fest umschlossen und hat den Oberkörper vorgebeugt. Sie hat gehört, ich sei Karnevalsverächter und würde keine Dauerkarte für den FC besitzen. Das ist ihr nicht nur suspekt. Nein, verdächtig passt da schon eher. Mehr noch: Das ist ein Schuldeingeständnis. Ein Mann, der keinen Karneval mag, den FC verachtet und Olivenöl in seine Waschmaschine füllt. Das ist böse, ganz böse. Gut, die Sache mit dem Olivenöl weiß sie nicht. Aber zutrauen würde sie es mir mit Sicherheit.

Bei dem Gedanken muss ich grinsen und ich grinse sie direkt an. Unter Aufbietung aller Kraft schafft sie es ernst zu bleiben. Sie richtet ihren Oberkörper auf und hält das Weinglas vor den Mund. Damit ich nicht sehe, dass sie auch grinst.

Jetzt weiß ich, wie ich hier einsteige.

Ich blicke die Gastgeberin an. Angelika klatscht in die Hände:

„Mädels, auf die Plätze! Macht die Gläser voll und dann geht’s los. Und achtet darauf, dass eure Haare gut aussehen. Der anwesende Künstler ist da sehr kritisch.“

Ein paar der angesprochenen Frauen lachen. Der Rest guckt neugierig bis erschrocken zu mir rüber. Es werden halbleere Gläser geleert und wieder randscharf aufgefüllt.

Die Gesichtszüge der Kritikerin verraten Neugierde. Ich blicke sie streng an und sofort streicht sie mit der weinglasfreien Hand ihre schönen langen Haare hinter die Ohren. Läuft.

Auf geht’s.

„Guten Abend verehrte Damen. Vielen Dank an Angelika, dass ich hier sein darf.“

Ich senke meinen Blick auf das Buch vor mir und streiche andächtig über das Cover. Mein Buch. Angelika kichert. Der Rest schaut und lauscht.

Ich hebe den Kopf und blicke jede einzelne Anwesende einen langen Moment an.

„Ok, damit das klar ist. Ich lese hier was vor. Das nennt sich Lesung. Eine Lesung ist Unterhaltung. Unterhaltung für euch. Und Unterhaltung ist eine ernste Sache.“

Hö?

„Wenn der Rahmen nicht stimmt, ist diese Veranstaltung beendet. Sofort. Ist das klar?“

Ich blicke in fünf erschrockene Augenpaare, zwei leicht angeduselte und ein kritisches. Angelika hält sich den Mund zu und versucht ein schallendes Lachen zu unterdrücken.

„Was ist der Rahmen dieser Veranstaltung? Ich will es euch erklären. Aber nur einmal.“

Jetzt ist es totenstill im Raum.

„Ästhetik ist mir sehr wichtig. Dazu gehört auch ein Ambiente, welches mir das starke Gefühl vermittelt, mein Publikum ist wirklich Aufnahmebereit. Aufnahmebereit für die ganz großen Themen.“

Sie hängen an meinen Lippen. Ich werde mich noch etwas deutlicher ausdrücken.

„Wenn von Ästhetik nichts zu spüren ist, wenn ich Nachlässigkeiten bei euren Outfits bemerke, wenn die Haare nicht gut liegen oder, ganz übel, wenn jemand Rotwein aus einem Weißweinglas trinkt, ist dieser Abend beendet. Ist das K-L-A-R?“

Sie halten die Luft an. Was geht hier vor? Was will der Typ? Hatte Angelika nicht gesagt: Ja, wir machen uns einen lustigen Abend bei mir. Mit kühlen Getränken, Gequatsche und eine großer unterhaltsamer Typen liest im Hintergrund ein bisschen was vor?

Meine bisher stille Kritikerin schaut erschrocken auf ihr Weinglas und dann zu Angelika herüber. Ich vermute, sie ist unsicher ob sie ein Rot- oder Weißweinglas in der Hand hält.

Das geht gar nicht. Unwissenheit zerstört jede Ästhetik.

 Fortsetzung folgt.