„Das ist doch nicht dein Ernst! Du kannst doch nicht einen Menschen nach seiner Frisur beurteilen!“
Natürlich kann ich das. Das wollte ich in diesem Fall aber gar nicht.
„Das habe ich gar nicht. Ich habe lediglich festgestellt, dass die Mimik und die öde Frisur die Aussagen dieser Frau irgendwie konterkariert.“
Wir schauen gerade ein Interview mit einer Wissenschaftlerin von der Uni Berkeley an. Sie, die Wissenschaftlerin, beschäftigt sich mit politischer Kommunikation. Jetzt gerade wird sie über die Kommunikation des amerikanischen Präsidenten befragt. Sie redet von einem Rahmen, dem Frame, der das Weltbild jedes Menschen darstellt und in dem sich auch das Kommunikationsverhalten des jeweiligen Menschen abspielt. Und wenn in diesem Rahmen politische Kommunikation stattfindet, redet sie von Political Framing.
Aus meiner Sicht ist das alter Wein in neuen Schläuchen. Jeder Mensch hat sein Weltbild und wählt sich seine Medien zur Informationsbeschaffung, seine Freunde und soziales Umfeld dementsprechend aus. Ich erinnere mich dunkel an diverse Kommunikationstheorien aus Studientagen. Und die sind bald zwei Jahrzehnte vorbei. Was ich hier und jetzt zur besten Sendezeit höre und sehe ist nicht neu.
Ich erkenne ein Muster. Bei mir. Ich misstraue den Aussagen dieser Wissenschaftlerin. Warum?
Sie hat ein Studium an einer renommierten Uni absolviert, bei namhaften Wissenschaftlern promoviert und gilt jetzt bei vielen Medien als Expertin. Sie hat blonde, hochtoupierte Haare. Sie sieht nach gängigen medialen Maßstäben attraktiv aus. Für mich heißt das: Perfekt, glatt und langweilig.
Vor einiger Zeit ging ich am Rheinufer in Düsseldorf entlang. Es war früher Morgen und es war noch angenehm ruhig. Eine Joggerin kam mir entgegen. Blonde, hochtoupierte Haare, sehr stark geschminktes Gesicht, schwarze Sonnenbrille, pinkfarbener Jogginganzug. Dazu nagelneue weiße Joggingturnschuhe. Sie ging mehr als sie lief. Als sie meinen Weg kreuzte, erfasste mich eine hartnäckige Wolke eines überdosierten Parfüms. Sofort fing ich an zu husten. Abwehr.
Mein erster Gedanke war: Würde sie richtig joggen, würde ihr die Schminke im Gesicht verlaufen. Mein zweiter Gedanke: Wäre so eine Frau hinter mir her, ich würde freudig den Rest meines Lebens in einer kalten dunklen Höhle irgendwo in Sibirien oder der Eifel verbringen. In der Hoffnung, nicht von ihr entdeckt zu werden.
Ja, ich rede von Vorurteilen. Meinen Vorurteilen. Gut begründete Vorurteile.
Die Person, über die die Kommunikationswissenschaftlerin referiert, hat ein überschaubares Weltbild, viel Macht und redet Blödsinn in hoher Taktzahl. Und hat eine Frisur, der es an Glaubwürdigkeit mangelt. Wie der Person insgesamt. Trotzdem ist die Person auf ihre Art erfolgreich. Ich merke, dass eine solche Kombination in meinem Weltbild so nicht vorgesehen ist. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ist es aber. Das nennt sich Realität. Mein Frame ist offenbar etwas zu klein für gewisse Teile der Realität. Oder ist die Schublade mit den unangenehmen Erkenntnissen einfach voll und wird gar nicht mehr geöffnet? Weil der Inhalt bekannt und bekannt unangenehm ist?
Die Reporterin spult ihre Interviewfragen routiniert ab, hakt aber nicht nach. Etwas mehr Bereitschaft zum kritischen Hinterfragen wäre an dieser Stelle nicht verkehrt. Das ist schließlich eine öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung.
Okay, ich erkenne an, dass die Dame ihr Wissen gut vermarktet. Ein neues Etikett wird erfunden, die Inhalte gut verdaulich dargeboten und zur besten Sendezeit an die Zielgruppe vermittelt. Aber der Erkenntnisgewinn bleibt aus. Zumindest was die Inhalte angeht. Bei den Äußerlichkeiten kann ich das aber nicht sagen.
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