Die Glastür fliegt auf. Ein junger Mann stürzt herein, er keucht heftig. Nach nur zwei, drei zittrigen Schritten in den Raum sinkt er auf die Knie. Sein Oberkörper ist aufgerichtet, die Arme hängen schlaff herunter, das Gesicht ist verzerrt.  Mit zittrigen Händen nestelt er an seinem rechten Hemdsärmel herum.  Verbissen krempelt er den Ärmel nach oben. Ein schrecklicher Anblick. Ich blicke in die Runde: Die Menschen in diesem Raum sind erstarrt. Alle haben den armen Mann im Blick. In seiner Armbeuge kommt ein Adapter oder so was zum Vorschein. Ich verstehe: Hier ist ein Süchtiger, der Hilfe braucht. Jetzt sofort. Weißer Schaum tritt aus seinem Mund hervor. Er ist bestimmt nicht mal dreißig, sieht aber viel älter aus. Mit kreidebleichem Gesicht sagt er:

„Ich…Dop…Entzug…zu lang…bitte!“

Er kippt vorn über.

Dann geht alles ganz schnell: Eine Frau eilt aus dem Hintergrund des Raumes  herbei und ruft mir zu;

„Schnell, helfen sie mir!“

Ich springe auf. Gemeinsam nehmen wir den Notfall und ziehen ihn näher zum Tresen. Sie ruft der Frau hinter dem Tresen zu:

„Notfall! Sofort Ablauf nach Plan Doppel-E! Höchste Dosierung!!“

Die junge Frau hinter dem Tresen erbleicht.

„Höchste Dosierung? Wenn sein Herz nicht gesund und stabil ist, war es das.“

„Ich weiß! Höchste Dosierung! Jetzt! Sonst verlieren wir ihn!“

Zittrige Hände halten den Aufsatz für die Dosierung. Dann wird es laut, die kleine Dosiermaschine  verarbeitet den Rohstoff, der die Grundlage dieser einzigartigen Medizin bildet. Die Nachwuchsmaschinistin ist sichtbar angespannt. Jetzt zeigt sich was sie gelernt hat: Ist die Dosierung zu schwach, fehlt vielleicht die Zeit für eine zweite Abgabe. Ist sie zu stark und der Patient diese Dosierung nicht gewöhnt… Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.

Dann eilt der Inhaber herbei. Er hat einen langen dünnen Schlauch aus transparentem Kunststoff in der Hand. Und dicke Handschuhe. Wofür die wohl gut sind?

Kurz prüft er den Puls des Ohnmächtigen. Er kennt ihn offenbar.

„Ach, er wieder. Seine Freundin will nicht, dass er her kommt. Sie ist verbissen, Second Hand-Modus, schlimmer Waschzwang, grüner Tee und so. Er war bestimmt drei Wochen nicht da… Das ist einfach zu lang. Damit kommt der Körper nicht klar.“

Er blickt in die Runde. Die Menschen hier haben ihn verstanden: Höre auf deinen Körper. Sonst könntest du auch bald hier liegen.

Dann betrachtet er den Adapter in der Armbeuge des Opfers.

„Das passt. Er wusste, dass es soweit kommen würde und hat sich vorbereitet.“

Er nickt anerkennend und schließt den Schlauch an den Adapter an. Das sieht gekonnt aus. Der Mann ist vom Fach. Das andere Ende des Schlauchs wird von der medizinischen Nachwuchskraft an die Maschine angeschlossen.

Dann zieht er die dicken Handschuhe an. Er kniet vor dem ohnmächtigen Mann, seine Hände halten den Schlauch. Ich sehe eine Markierung auf dem Schlauch. Nur für Notfälle! Max. Temperatur 120 Grad Celsius. Verbrennungen unmittelbar nach der Notfallbehandlung behandeln.

Eine Frau hinter mir weint und betet. Jetzt gilt es.

„Bereit! Leg los!“

Die junge, offenbar mit Notfällen noch unerfahrene Frau  wendet sich der Maschine zu, dem Mittelpunkt dieser Einrichtung. Es ist eine große Maschine: vier Stationen, eigener Wasseranschluss. Natürlich wird das Wasser zuvor gefiltert, kalkhaltiges Wasser könnte in solchen Situationen unabsehbare Folgen haben. Die Frau drückt eine Taste an der Maschine. Ein Dröhnen erfüllt den Raum. Ich sehe eine Anzeige an der Maschine auf Rot springen. Ist das aufregend…

Durch den Schlauch schießt die heiße, dunkle Flüssigkeit. Der Schlauch windet sich. Schnell ziehe ich meinen Pulli aus, nutze ihn als Hitzeschutz und halte den Schlauch fest. Durch den dicken Stoff hindurch fühle ich die Hitze. Der Schlauch dampft. Hier sind große Kräfte am Werk.

Nach nur wenigen Sekunden ist der Spuk vorbei. Die Medizin ist durch den Adapter direkt in den Körper gelangt. Der junge Mann kommt stöhnend zu sich und richtet sich langsam auf. Noch unsicher blickt er sich um. Er fasst sich ans Herz und blickt seinen Retter fragend an.

„Das wirst du noch einige Stunden merken. Da ist Herzklopfen garantiert. Das ist eine Mischung aus Kolumbien, sehr fein gemahlen.“

Das Opfer lächelt unsicher.

„Kolumbien? Das kenne ich gar nicht. Ist das neu?“

„Ja. Wir haben letzte Woche erst die erste Lieferung bekommen. Das ist harter Stoff. Kriegen nur ausgewiesene Stammkunden – oder Notfälle.“

Er lächelt. Es ist geschafft. Es gibt Applaus für den Retter. Wir helfen dem Notfall auf die Beine und setzen ihn an einen Tisch. Der Inhaber instruiert seine Thekenkraft.

„Bring ihm noch einen Milchkaffee, aber nur mit Single Shot.“

Die Frau hinter dem Tresen lächelt wieder. Mit diesen harmlosen Sachen kennt sie sich aus.

Ich setze mich wieder an meinen Tisch. Mein Espresso ist natürlich abgekühlt, obwohl die ganze Sache vielleicht nur zwei Minuten gedauert hat. Aber es war der erste Espresso des Tages. Ich werde noch einen Doppio ordern. Aber nicht die Notfallmischung. Diese Menge Koffein würde selbst mir die Schuhe ausziehen. Auch wenn es nicht intravenös verabreicht werden würde, sondern in einer feuerfesten Tasse.