„Das geht nicht!“

Ich bin irritiert.

„Was geht nicht?“

„Du kannst nicht auf einem klassischen Konzert in der Philharmonie tanzen!“

„Wieso? Diese Musik ist eindeutig groovy.“

Sie stöhnt.

„Das magst du ja so empfinden. Die Leute gucken aber schon komisch.“

„Die haben eben nicht mein gediegenes Rhythmusempfinden. Außerdem hat der Moderator vorhin gesagt, man darf hier drin nicht fotografieren. Und seitdem fotografieren alle wie verhaltensgestörte Handy-Autisten ohne jede Selbstbeherrschung. Von Tanzverbot hat er nichts gesagt.“

Ich gehe gern in die Philharmonie in Köln. Der Raum, die Akustik und die wundervollen musikalischen Darbietungen bilden eine ästhetische Einheit. Wenn ich dann noch bei der Auswahl des Pausenweines meine Begleitung zufriedenstelle, kann ich ohne Übertreibung von einem gelungenen Abend reden.

Diesmal gab es Highlights von Bartok, Kasimir-Klaus von Schostakowitsch und ein paar langsame Werke des völlig unterschätzen Luigi Rallentare zu hören. Der Saal war voll. Den Anfang machte Bartok. Er war aber aus Termingründen nicht selber anwesend, ließ aber durch den Moderator zu Beginn  des Konzertes Grüße ausrichten.

Im dritten Satz passierte es: Ich verlor bei der praktischen Ausführung eines gerade erdachten Tanzschrittes das Gleichgewicht und fiel über die Brüstung vorn über. Aber die Hände der ekstatisch klatschenden Menschen fingen mich auf und ich wurde wurde sanft über die Köpfe des Publikums von den Blöcken C, B bis A getragen. Ein Geiger machte den Dirigenten per Fingerzeig auf meinen ungeplanten Ausflug aufmerksam. Sofort reagierte der Maestro.

Das Orchester war von meiner eher von Metalkonzerten bekannten Einlage begeistert und improvisierte unter der schwungvollen Anleitung des Dirgenten spontan einen treibenden längeren Instrumentalpart, der sich schließlich zu einer phantastischen Version des alten Deep Purple-Klassikers Space Truckin auswuchs. Die beiden Harfenspieler übernahmen dabei die Rolle der E-Gitarre, die Bratschisten übernahmen die Bassuntermalung, der Trommler trommelte und der Rest spielte die Orgelparts. Gesungen hat aber keiner. Dafür summten Teile des Publikums den Text halblaut mit. Die Begeisterung des Publikums steigerte sich zum Orkan. Meine Reise durch diesen epischen Saal trug mich bis vor die Bühne. Dort wurde ich sicher abgesetzt. Ich verbeugte mich vor dem Dirigenten und dem Orchester und der Dirigent tat es mir gleich und ließ seinen Taktstock mit gekonnter Anmut schlackernd durch die begeisterungsschwangere Luft dieses Tempels der Künste fliegen.

So kehrte ich beschwingt und unter vielen neugierigen Blicken zu meinem Platz zurück.  Meine Begleitung sah etwas blass aus. Ich konnte sie aber von meiner Unversehrtheit schnell überzeugen. An meinem Platz angekommen,  ließ ich die Hüfte noch ein paar mal schmerzfrei kreisen und setze mich dann wieder. Ich will ja niemandem den musikalischen Genuss durch extrovertierte Bewegungen zerstören.

Noch vom Adrenalinschub aufgeputscht flüstere meiner stilvollen Begleitung etwas zu.

„Früher ist man von der Bühne ins Publikum gesprungen. Heute wird man auf Händen zur Bühne getragen. Das ist schon toll.“

„Du bist unvorsichtig. Wenn die Leute dich nicht aufgefangen hätten, wärst du vermutlich pogoartig im Orchester eingeschlagen und hättest für erhebliche kulturelle Ausfälle gesorgt.“

Interessanter Gedanke.

„Keine schlechte Idee. Das probiere ich beim nächsten Mal aus.“

Übrigens waren nicht alle von der improvisierten Programmänderung begeistert. Die etwas zickige erste Geigerin protestierte beim Dirigenten über die aus ihrer Sicht ungehörige musikalische Neuinterpretation. Sie fand aber kein Gehör. Im Gegenteil wurde sie ihres Instrumentes beraubt und musste fortan den Rest des Abends neben dem Pianisten sitzend als Luftzufächlerin und Notenblattumblättnerin tätig werden.