„Sie können doch nicht einfach mit einem T-Shirt hier reinlaufen!“
Der Kellner blickt mich leicht arrogant an.
„Natürlich kann ich das. Habe ich ja gerade getan. Was ist mit dem Shirt nicht in Ordnung?“
„Was damit nicht in Ordnung sein soll? Soll das ein Witz sein? Das ist ein ehrenwertes Haus mit bewährten Regeln.“
Er stemmt die Hände in die Hüften. Ich bin nicht beeindruckt. Ein Konflikt vor der ersten Nahrungsaufnahme des Tages. Das fehlt noch.
„Was wollen Sie von mir? Das ist ein freies Land und ich glaube die Gäste dieses Hauses interessiert meine Bekleidung null.“
Ich blicke ihn an. Sein Hemd ist links etwas aus der Hose gerutscht. Danke für die Vorlage. Ich blicke ihn leicht pikiert an.
„Ihre Berufskleidung scheint mir nicht ganz Ordnung zu sein…“
Er blickt an sich herunter, entdeckt seine Nachlässigkeit, erschrickt, dreht sich um und stopft hektisch das Hemd wieder in die Hose. Ich blicke mich um und sage laut:
„Wo ist denn hier der verantwortliche Oberkellner? Da sind ja unhaltbare Zustände hier! Hier, in diesem ehrenwerten HAUS!“
Das wäre geklärt. Ich wende mich ab und wieder der Suche nach dem Tisch mit meinen zum Brunch verabredeten Freunden zu. Was bilden sich die Leute ein, mein Outfit zu kritisieren? Ich kann rumlaufen so wie ich will. Die glauben hier doch nicht im Ernst, dass ich in diesem antiquierten Nobelschuppen im Dreiteiler mit Krawatte auftauche. Es sind 16 Grad draußen. Gut, es ist formell Winter aber deswegen laufe ich doch grundsätzlich nicht im Wintermantel hier rum. Schluss mit diesen negativen Gedanken. Der Laden hier ist groß. Und unübersichtlich. Ich stoppe eine vorbeieilende Kellnerin:
„Guten Tag, ich suche einen Tisch, der auf den Namen Etagere gebucht ist. Für, ich glaube, vier Personen.“
Sie legt einen Zeigefinger an die Lippen. Sie überlegt.
„Hm, da gibt es, glaube ich, zwei Buchungen auf diesen Namen. Ich schaue mal eben nach.“
Zwei Buchungen auf den Namen Etagere? Aha. Es gibt keine Zufälle. Alles ist vorbestimmt. Habe ich irgendwo gehört. Sie geht an die Theke und blickt in ein großformatiges Buch, in dem mit kryptischer Handschrift Namen und Uhrzeiten eingetragen sind.
„Genau, zwei Buchungen. Einmal für vierzig Personen, der Tisch ist im nächsten Raum links, direkt am Fenster zum Rhein und die andere Gruppe, das ist eine Gesellschaft mit 129 Personen, die ist im Obergeschoss, im Saal „Belladonna“.
Sie lächelt mich an.
„Aha.“
Sie sieht mir wohl meine Verwirrung an und blickt nochmal in das dicke Reservierungsbuch.
„Das eine ist eine Karnevalsgesellschaft, das andere ist der monatliche Stammtisch der Fastengesellschaft für junggebliebenen Katholikinnen aus dem Bergischen.“
Sie lächelt mich erneut an. Dabei prüft sie mein Outfit und kommt zum gleichen Schluss wie ich. Nämlich, dass ich weder in die eine noch die andere Gruppe passe.
„Beide Gesellschaften erwarten jeweils ihren Festredner. Einen Herrn Dr. Büttenschrott und einen Herren Rahmknödler. Sind sie vielleicht einer von denen?“
Mit Rahmknödeln habe ich nur selten zu tun. Aber Dr. Büttenschrott ist ein schöner Name. Lautmalerei und Bedeutung gehen da bestimmt fröhlich Hand in Hand. Ich könnte improvisieren und für einen oder sogar beide Redner einspringen. Eine ausführliche Publikumsbeschimpfung mit Unterhaltungsgarantie kriege ich mittlerweile auch ohne Vorbereitung hin. Aber ich habe Hunger. Und das Verlangen nach Konversation mit netten Menschen. Wo sind meine Freunde? Oder: Wo bin ich? Ich schüttele den Kopf.
„Vielen Dank, ich werde mal bei den anderen nachfragen. Danke sehr.“
„Bitte sehr.“
Warum grinst sie mich so breit an? Freches Ding.
Ich ziehe mein Schlauphone aus der Innentasche des Jacketts. Es ist auf leise gestellt. Keine Nachrichten. Keine Anrufe. Ich hole mein kleinformatiges Notizbuch hervor. Die Adresse stimmt. Das Datum auch. Die Uhrzeit auch. Bin nur leicht spät dran. Puh, also bin ich schon mal richtig. Das hilft etwas um den Puls in ruhigere Bahnen zu lenken.
„Herr Dr. Büttenschrott?“
Ich drehe mich um. Laetizia! Sofort entspanne ich mich und bin augenblicklich Herr Dr. Büttenschrott.
„Ja bitte?“
„Mein Name ist Laetizia Etagere, Vorsitzende der katholischen Fastengesellschaft aus dem Bergischen. Darf ich sie in den Raum nebenan bitten? Mehrere ausgehungerte Personen erwarten ihre Tischrede zum Thema: Wenn andere einen Tisch buchen, dann gibt es was zu lachen.“
Sie reicht mir ein Glas Prosecco.
„Natürlich. Ich werde auch kurz auf die inhaltliche Bedeutung des Namens Büttenschrott für die fünfte Jahreszeit im Rheinland hinweisen. Und den daraus resultierenden Folgen für die vom Karneval Betroffenen. Beziehungsweise Infizierten.“
„Sehr gut. Bitte folgen Sie mir.“
Erleichtert tue ich das. Beim Vorbeigehen grinst mich die Kellnerin erneut frech an. Na warte… Ich werde heute viele, viele Extrawünsche äußern. Das Personal hier wird richtig ackern müssen.
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