„Das gibt es doch gar nicht. Du und deine Karnevalsphobie. Findest du das nicht etwas übertrieben?“

„Was meinst du?“

Karneval, allein dieses Wort reicht und schon liegt Spannung zwischen uns in der Luft. Sie feiert gern verkleidet. Also Karneval. Ich feiere gern unverkleidet. Also den Rest des Jahres. Sie blickt auf die Eingangstür des Hauses in dem ich wohne. Vor der Tür liegen zwei große und schwere Rollen Stacheldraht. Insgesamt zwei Kilometer rasiermesserscharfer Stacheldraht. In schrill-pinker Farbgebung. Der Verkäufer hat mir versichert, dass der Abschreckungseffekt der Stacheln jeden Karnevalswütigen auf Abstand hält, die Farbe gleichzeitig gut zur Jahreszeit passt und jedwede Aggressionen hemmt.

„Ich finde es ja ok, dass du Karneval nicht feierst und dich nicht zukölschen lassen willst. Aber musst du deshalb das Haus mit Stacheldraht umwickeln? Hast du Angst, das Haus wird von Verkleideten überrannt und du tagelang mit Karnevalsschlager gefoltert?“

„Nein. Sollte das passieren flüchte ich vorher rechtzeitig in den Panic Room im Keller. Der Draht ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ein Warnschild aufhängen reicht einfach nicht. Das müsste außerdem ein recht großes Schild sein. So was wie Zutritt für verkleidete und unverkleidete Wildpinkler und Wildpinklerinnen, Spontanreihern und debiles Verhalten ist untersagt ist einfach zu kompliziert. Das wird kognitiv nach dem fünften Kölsch auch schwierig. Von so was wie Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu ganz zu schweigen.“

Sie verdreht die Augen.

„Dein Weltbild ist eindimensional und negativ. Du Karnevalshasser!“

„Das stimmt nicht. Hass ist schrecklich. So bin ich nicht. Mein Weltbild wird durch meine Umwelt geprägt. Und da bleibt schon was von der kölschen Lebensart hängen. Gestern hat ein Mann im Hundekostüm eine Angestellte beim Metzger gefragt, welche Sorte Mett zum Verzehr auf Brötchen am besten geeignet ist. Sie hat gesagt: „Dieses hier, dass ist frisches Karnevalsmett. Das muss aber heute noch gegessen werden, darf aber nicht an Tiere verfüttert werden. Und es macht Sinn, ganz viel Alkohol dazu zu trinken. Das wird Ihnen schmecken.“ Ich finde, in dieser sehr fachkundigen Auskunft liegt viel Wahres.“

„Ich esse kein Mett. Du aber schon. Draußen feiert die ganze Welt und du sitzt allein drinnen und, ja was machst du dann?  Meditieren?“

„Ja, genau. Das ist toll. Ich spüre die positive Energie draußen und bin gleichzeitig drinnen in Sicherheit vor den negativen Begleiterscheinungen. Das fühlt sich gut an. Diese innere Ruhe bei äußerer Unruhe ist was ganz Feines.“

„Du willst doch nur vermeiden, dass dich der Karnevalsvirus infiziert.“

„Wenn es doch nur ein Virus wäre. Dann liegt man ein paar Tage flach, kuriert sich aus und dann ist man wieder gesund. Aber Karneval ist ein ganzjähriges Geschäftsmodell geworden. Die  Spirituosenhersteller und Kneipen freuen sich. Vielen Dank auch.“

„Na, dann wünsche ich dir viel Spaß alleine. Was machst du eigentlich, wenn du mal raus aus dem Haus musst? Dein Kühlschrank ist ja irgendwann leer.“

„Dann gehe ich nur in Unterhose und mit Schlappen bekleidet rüber zum Supermarkt und kaufe ein. Da falle ich gar nicht auf. Ich muss aber immer mindestens eine Flasche Bier mitkaufen. Sonst falle ich auf und werde von den umstehenden Karnevalisten beim Dosenkauf angequatscht oder muss die Kölnergemeinschaftsschlagerbringenallezumheulen mitsingen bevor mir irgendwann die Flucht gelingt.“

„Du Armer. Ich verkleide mich gleich als Einhorn und treffe dann die Mädels zum Vorglühen. Die gehen auch als Einhorn.“

„Einhornherden glühen immer kollektiv an Karneval vor. Oder: Einhornglühen in der Altstadt. Ein schöner Titel.“

„Tschüss.“

Sie dreht sich um und verschwindet zügig in der nächsten U-Bahnhaltestelle. Ich ziehe die dicken Sicherheitshandschuhe an und beginne den Stacheldraht am Haus zu befestigen. Diese Arbeit hat so etwas Kontemplatives. Da ist die Transzendenz nicht weit. Und das mitten in dieser feierwütigen Zeit. Ich bin begeistert.

Aber jetzt reicht es auch mit den Einhörnern. Ab nächste Woche werden hier wieder anständige Themen behandelt.