Das ist ja ein Samstag wie aus dem Bilderbuch. Ausschlafen, stressfrei einkaufen, ausgiebig frühstücken. Und dann rege ich mich wieder auf. Weil ich am Samstag immer die nationale und lokale Presse ausführlich lese. Und dort lese ich, was gerade überall die Schlagzeilen beherrscht. Dass sich nämlich die größte und älteste deutsche Partei am Abgrund befindet und droht abzustürzen, dass diese Partei im Falle von Neuwahlen komplett untergeht, dass das Führungspersonal nur um Posten streitet usw. usf. Selbst auf der Webseite der Tagesschau wird dem allgemeinen Trend der meinungsstarken Äußerungen über die todgeweihten Sozialdemokraten artig gefolgt.
Ich hätte aber gerne Fakten statt Meinung. Ich brauche nämlich die Fakten um mir eine Meinung zu bilden. Und das wird immer schwieriger, weil die puren Fakten immer schwerer aufzutreiben sind. Trotz unzähliger Medien die am Kiosk oder online um Kundschaft buhlen. Meine Meinung zum Sachverhalt ist übrigens etwas anders als die tendenziöse Berichterstattung.
Seit vielen Jahren wird über den Schwund an Demokratie in diesem Land berichtet und dieser wortreich bedauert. Jetzt geht es endlich mal in einer Partei öffentlichkeitswirksam zur und um die Sache. Um „Inhalte“. Die Entwicklung der Rente, der völlig unzureichende soziale Wohnungsbau und der katastrophale Pflegenotstand werden heftig diskutiert. Was gut ist und weil es Zeit ist. Die Frage ist, wohin soll die Richtung zukünftig gehen? Grundsätzlich in der Politik und in der Partei.
In diesem unseren Lande ist ohne Ende Geld vorhanden. Aber für eine menschenwürdige Pflege ist kein Geld da. Die Schulen verfallen seit Jahren, weil Städte und Gemeinden nicht den Anteil von den sprudelnden Steuereinnahmen bekommen, der nötig wäre. Bei Themen wie Sicherheit und Energiewende muss erst ein Terroranschlag bzw. ein Atomunfall passieren, bevor die Politik aufwacht. Die Ehe für alle wird erst beschlossen, nachdem gefühlt alle Länder dieser Erde ein entsprechendes Gesetz erlassen haben. Ich rechne übrigens mit dem Verbot von Zigarettenwerbung und der Einführung von Tempolimits noch vor dem Jahr 2099. Steuerhinterziehung, Geldwäsche und die Umgehung von Mindestlöhnen in diesem heilen Land werden nicht wirksam bekämpft. Weil es nicht genug Personal bei Finanzbehörden und Zoll gibt. Wie auch in der Pflege. Ich weiß, Gerechtigkeit ist sehr subjektiv. Deshalb sage ich es anders: Die wichtigen Dinge werden seit einigen Jahren politisch nicht mehr ernsthaft behandelt. Wirtschaftlich geht es dank brummender Weltkonjunktur aufwärts. Gesellschaftlich geht es eher in die Gegenrichtung.
Eine wirklich gute Idee wie ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr wird trotz Dieselskandal und innerstädtischen Abgasbelastungen erst mal rein unter dem Kostengesichtspunkt betrachtet. Natürlich. Aber was bringt so eine Maßnahme denn der Bevölkerung Gutes? Ich glaube ziemlich viel. Da lese ich sehr wenig darüber.
Eine große Koalition ist in Notzeiten mit Naturkatastrophen oder Krieg sinnvoll. Es sind aber keine Notzeiten. In Nicht-Notzeiten führt eine große Koalition eher zu Besitzstandswahrung, Anpassung und Bequemlichkeit. Fortschritt wäre deutlich besser.
Die deutsche Demokratie hält eine Minderheitenregierung locker aus. Dann muss die stärkste Partei eben mal für ihre Inhalte werben, im Bundestag etwas Streit aushalten und die Karten auf den Tisch legen. Und vor allem erklären, was sie wie und warum machen will. Das geht aber aktuell nicht, weil dann 99% der Beteiligten mal aus ihrer Komfortzone und den Hinterzimmern müssten, raus ins Rampenlicht der politischen Auseinandersetzung, in den Bundestag. Dort, wo der politische Diskurs der Verantwortlichen hingehört. Und nicht in die von den immer gleichen Stichwortgebern und Platitüdenwerfern beherrschten Talkshows.
Vielleicht täusche ich mich aber einfach nur und die politische Diskussion ist überall lebendig und produktiv. Aber es wird nur so wenig darüber berichtet. Oder der Diskurs an sich wird als schlecht bewertet und folglich als negativ abgestempelt. Ich erlebe gerade, wie sich immer mehr Menschen voller Elan und Herzblut an politischen Diskussionen beteiligen. Weil sie was verändern und den Status Quo nicht hinnehmen wollen. Demokratie lebt von Streit, von der Diskussion über Themen und über Personen. Dann kommen nämlich Leute in Positionen, die was verändern und vor allem verbessern wollen. Und dafür brauchen diese Personen Macht und Einfluss, den sie über Ämter bekommen. Das ist gut liebe Presse. Man kann unglaublich viel über Hosenanzüge, Bärte, Frisuren von Politikerinnen und ähnlich bedeutsame Merkmale schreiben. Diese Merkmale sagen aber nichts über die politische Wirksamkeit eines Politikers aus. Wer über Äußerlichkeiten statt Inhalten schreiben will, sollte vielleicht zukünftig lieber Heidis bulimischen Kackstelzenverein kommentieren.
Alternativlos ist ein anderes Wort für Stillstand. Es gibt aber viele Wege zum Ziel. Sehr viele. Egal, ob es um Personen geht oder die Bildung einer Regierung. Ja, sie sind vielleicht unbequem und müssen der Bevölkerung mühsam erklärt werden. Kommuniziert. Doch, das geht. Man muss es nur wollen. Gut, und können natürlich auch. Und zulassen.
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