Ich gebe es gern zu. Ich gehöre zu denjenigen, die auch bei strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen mit Vergnügen stundenlang durch Museen schlendern und Kunstmessen mit großer Vorfreude besuchen. Und das tue ich nicht in der Erwartung mich ein paar Stunden in wohltemperierter Umgebung aufzuhalten, sondern es ist die Freude an der Kunst an sich. Und das Publikum. Denn das ist auch so bunt und oft so asymmetrisch wie die Kunst. Zumindest die Kleidung und die Frisuren der Damen. Die Frisuren heben sich nämlich wohltuend vom Zeitgeist ab und die Kleidung verdient oft die Bezeichnung avantgardistisch. Das sind wahrscheinlich die sichtbaren Nebenwirkungen, wenn Frau sich regelmäßig und länger in künstlerischer Umgebung aufhält. Männer reagieren auf den Umgang mit Kunst anders. Männer werden mit der Zeit eher fülliger, tragen ihre alten schwarzen Anzüge länger als es ästhetisch vertretbar wäre und verlieren viel Haupthaar. Das Resthaar wird dafür etwas länger getragen. Oder verwechsele ich jetzt die Künstler mit den Galeristen? Egal. Da gibt es eine größere Schnittmenge.

Ich kann nur vermuten woran das liegt. Also diese Veränderungen, die die Kunst beim Menschen auslösen. Sicher, das stetige nächtliche Ringen mit der Inspiration, ständig wechselnde Musen weiblichen und männlichen Geschlechts, das ist für den Großteil der Kreativen öder Alltag. Es gibt so unzählig viele und völlig unterschiedliche Arten der Inspiration, die in das Leben des Künstlers oder der Künstlerin eindringen und es vom Kopf auf die Füße und wieder andersherum stellen. Dazu kommt der Einfluss der Künstlerkollegen und vielen andere die Inspiration anregende Dinge, Getränke und Substanzen, die Dämpfe der Farben, all das und noch viel mehr vereinen sich zu einem schwer abzuschätzenden Konglomerat aus Einflüssen auf den Körper, dessen Wirkung irgendwann einen Zustand der ständigen künstlerischen Wachheit herbeiführen. Dann sieht der Maler keine Tulpen mehr, dann riecht er Cadmiumgelb und fühlt das Preußischblau in seiner Nähe. Gedanklich wird die Blume zerpflückt und ihrer Einzelteile neu zusammengebaut. Das Ergebnis sieht dann aus wie eine zerplatzte Tube Handcreme der Duftrichtung Buttermilch und Zitrone. Riecht aber anders.

Die Art Cologne ist da fast ein Pflichttermin für Kunstinteressierte in Köln. Wobei Pflicht passt nicht, dass hört sich gezwungen an. Ich war freiwillig da. Gestern am frühen Nachmittag machte ich mich auf zum Messegelände in Deutz. Dort wird fleißig gebaut. Ach so, ich bin ja in Köln. Fast hätte ich es vergessen.

Oh Wunder. Ich werde am Eingang nicht durchsucht und meine Tasche bleibt unbeäugt vom wachsamen Messepersonal. So gelingt es mir, eine kleine Flasche Sprudelwasser, eine kleine Tube Handcreme mit Olivenessenzen und eine Einkaufstüte aus Jute hineinzuschmuggeln.  Ich beginne meinen Rundgang auf der mittleren Ebene. Dort wo sich die wenigen wirklich umsatzstarken Galerien dieses Gewerbes gut sichtbar direkt am Eingang der Halle tummeln. Es ist nett was es dort zu sehen gibt. Eine lebensechte Darstellung eines farbigen Mannes mit Putzutensilien, eine originalgetreue Nachbildung eines sitzenden Schäferhundes, der hin und wieder seinen Kopf neigt. Es reicht auf jeden Fall, um eine ausführliche Erwähnung in der Presseberichterstattung zu bekommen. Aber ist es originell? Muss es überhaupt originell sein? Das ist eine Messe, hier wird Kunst angeboten und verkauft. Zahlungskräftiges Publikum trifft auf ein buntes, marketingtechnisch aufgeladenes Angebot.

Knie nieder vor dem Künstler!

Ich gehe durch die Halle und auffallend wenig erweckt mein Interesse. Bin ich abgestumpft? Werde ich nicht gut unterhalten? Nein, ich habe eher das Gefühl zu viel von den Ausstellungsstücken schon gesehen zu haben oder sie zu kennen, obwohl ich sie zum ersten Mal sehe. Ich schieße auch wenig Bilder und bin trotz dieses zweifellos vorhandenen Vorfreudegefühls recht schnell gelangweilt. Die Halle ist schnell erkundet. Hm, dann gehe ich mal eine Etage höher. Aber auch hier bleibt die Begeisterung aus. Vieles wirkt unfertig und sieht aus wie neu zusammengesetzt Inhalte eines gelben Sacks. Dann kommt die Reihe der Kunstvereine. Ich freue mich grundsätzlich über das Engagement der ganzen anwesenden Kunstvereine, aber das Personal an deren Ständen erweckt teilweise das Gefühl hier eine mehrjährige Strafe absitzen zu müssen.

Ich brauche eine Pause sonst geht die Stimmung noch in den roten Bereich. Aber es wird schlimmer. Es folgt der Tiefpunkt: Der4 €-Cappucino,  für Messeverhältnisse geradezu schäbig billig, ist eine Mischung aus siedendem Wasser und dazu unbewusst passend abgestimmtem verbranntem Kaffeepulver. Ich setze mich auf eine  leere Bank und lenke mich mit dem Blick in ein Kunstmagazin ab. Dort wird der Mist, den ich gerade in echt betrachtet habe mit selten dämlichen Begründungen abgefeiert. Die Position des Kreativen und eine interessante Begleitgeschichte zählen anscheinend weit mehr als das Werk selber. Die Kunst, das Werk selber wird dadurch leider belanglos. Erst das Werk, dann der Kontext bitteschön. Flach, ganz flach verehrte Fachjournalisten. Nein, ich will auch kein Testabo. Das fehlt noch. Ich möchte lieber Kunst selber entdecken.

Muppets trifft Sesamstrasse. Schön.

Nach etwa einer Viertelstunde ist der angebliche Cappucino ohne Verbrennungen trinkbar. Streng genommen gehört er zurückgegeben und die Kaffeemaschine im Rahmen eines spontanen Aktes von Notwehr lautstark die Treppen runtergeschmissen. Aber ich bin als Besucher hier und nicht als Künstler. Sonst kriege ich wieder Applaus für meine tolle Performance und alle schwarzverkleideten Galeristen wollen mich vertreten und drängen mir ihre auf abgegriffene Visitenkarten gedruckten Kontaktdaten und den abgestandenen Rotwein vom Eröffnungstag auf.

Das will ich aber nicht. Deshalb trinke ich das leicht koffeinhaltige Gesöff aus, fülle den Becher mit einem Gemisch aus Leistungswasser und 20 Beuteln Zucker und werfe das Zuckerwassergeschoss in einem unbeobachteten Moment im hohen Bogen hinter die kleine Kaffeetheke. Dort, wo die beiden gelangweilten und mit etwas albernen Motiven tätowierten Bedienungen mit ihren Handys rumspielen. Anstatt die Maschine mal richtig einzustellen und somit für ein positives Geschmackserlebnis bei den Messebesuchern zu sorgen. Fake-Kaffee-Flittchen!  Im Abgang höre ich ein entsetztes Kreischen und Stimmengewirr. Ich verschwinde schnurstracks und betont unauffällig in der Menschenmenge am Stand nebenan, die einem bestimmt sehr bedeutungsvollen Vortrag über Genderfragen in der Kunst lauscht. Allerdings unterbricht die vortragende Dame ihren Vortrag für einen Moment, als sie den Tumult am Kaffeestand nebenan mitbekommt.

Willy denkt sich seinen Teil.

Jetzt fühle ich mich besser. Meine Handlung hat den negativen Gedankenkreislauf gestoppt und für etwas Abwechslung gesorgt. Ich setze meinen Rundgang fort, finde aber auch im Obergeschoss keine rechten Highlights. Irgendwie läuft es nicht so toll. Ich bin in diesem Moment wirklich unzufrieden mit dem, was hier als die Creme der Kunstwelt aufgetischt und angeboten wird. Das kann doch nicht alles gewesen sein? Also runter ins Erdgeschoss, wo meiner Erinnerung zufolge Klassiker wie Max Ernst,  Andy Warhol und Roy Lichtenstein einem schon etwas älteren Publikum mit Vorliebe für Goldknopfzweireihern und Brillen mit Goldrand angeboten wird. Ich gehe ohne Erwartungen dorthin. Und siehe da: Diesmal entdecke ich hier ein paar wirklich schöne Dinge. Werke, bei denen handwerkliches Können und mehr als nur eine gute Idee zusammenkommen. Kunst, die ohne einen aufwendig maßgeschneiderten oder eilig zusammengezimmerten Kontext wirkt und den Betrachter erfreut, innehalten lässt und sich ins Gedächtnis eingräbt. Schön.

Und trotzdem, mein Kopf ist voll. Die übliche Reizüberflutung auf Ausstellungen dieser Größe ist wohl unvermeidbar. Beim Rausgehen drückt mir eine junge Frau ein Kunstmagazin in einer Plastiktüte in die Hände. Ich sage mal nicht nein, nehme gleichgültig die Tüte plus k.west und gehe zur Bahn. Beim Warten am Bahnsteig werfe ich müde einen Blick in das Heft. Das Wort Typographie in einem Artikel schaltet mich wieder an. Dieses Thema begeistert mich seit Jahren. In der Bahn entdecke ich mehrere weitere interessante Artikel im Heft. Ich freue mich auf die Couch und eine Runde schmökern.

Hat sich der Besuch der Messe gelohnt? Ja, aber der Reiz des Frischen und Neuen war dieses Jahr nicht da. Für mich zumindest nicht. Aber der Nachmittag war trotzdem interessant. Das reicht vollkommen.