Heute ist anscheinend jeder Fahrradfahrer in Köln auf seinem Drahtesel unterwegs. Seit einer viertel Stunde haben mich unzählige Radfahrer überholt, meist Frauen. Und mindestens jede zweite Frau hat ein und denselben grünen Rucksack aus Stoff auf dem Rücken. Ich glaube der Hersteller heißt Fjöllfellige Pranken. Oder so ähnlich.

Ich fahre heute etwas defensiver. Mir ist noch etwas flau in der Magengegend. Ich habe gestern Abend nämlich an einem Seminar der Volkshochschule teilgenommen. Das Thema war der praktische integrative Umgang mit anderen Kulturen durch interkulturelle Nutzung der Wasserpfeife in zwielichtigen Bars in der Kölner Innenstadt. Das ist natürlich nicht der genau Titel aber der Inhalt des Seminars wird damit gut wiedergegeben. Es war übrigens ausverkauft. Zwölf Teilnehmer hatten sich verstreut an mehreren Tischen einer Shisha-Bar platziert und wurden durch das arabische Personal in den ordnungsgemäßen Gebrauch der Wasserpfeife eingewiesen. Der Altersschnitt dieser Bar liegt normalerweise wahrscheinlich bei knapp 22 Jahren. Durch die Seminarteilnehmer wurde dieser Schnitt deutlich angehoben. Also mindestens verdoppelt. Die Stammbesucher waren etwas verblüfft über den ungewöhnlichen Besuch der interkulturell Weiterbildungsinteressierten.

„Und hier muss ich jetzt reinblasen?“

fragt die Seminarleiterin Frau Lasse-Puztusski.

„Nein, nein: ziehen. Sie müssen ziehen. Wie bei einer Zigarette.“

erklärt Abdul, der zur Betreuung der Seminarteilnehmer auserwählte Shisha-Meister und Besitzer der Bar geduldig.

„Ich rauche aber normalerweise nicht. Das ist ungesund.“

Sagt es, und leert ihr viertes Glas Kölsch seit Beginn des Seminars vor etwa 20 Minuten.

„Und da ist jetzt Kokain drin?“

fragt eine Dame um die Siebzig. Sie zeigt auf den Kopf der Wasserpfeife, wo drei glühende Stücke Kohle liegen. Ich glaube, sie heißt Frau Schransski und bewegt sich heute angeblich zum ersten Mal außerhalb ihres heimischen Veedels im Kölner Osten. Meister Abdul verdreht leicht die Augen.

„Nein, das ist Apfelgeschmack mit etwas Minze.“

Frau Schransski ist mit der Antwort nicht ganz zufrieden.

„Aha. Wo haben sie denn die Äpfel versteckt? Das schmeckt auch deutlich nach Gummi.“

„Sie müssen erst das Mundstück auf den Schlauch setzen bevor sie dran saugen.“

Er sagt saugen, nicht ziehen. Bei einigen Teilnehmern sieht es eher nach nuckeln aus.

„Aha.“

Das „Aha“ hört sich an wie eine Schaufel, die quietschend über eine Eisfläche im Winter geschoben wird. Sie fingert das Mundstück aus der Tüte und friemelt es umständlich auf den Schlauch. Dann zieht sie kraftvoll für einige Sekunden den Rauch aus der Wasserpfeife in den Mund. Einen kurzen Moment lang glaube ich, dass sich ihr Gebiss im Mundstück festgebissen oder verhakt hat. Aber dem ist nicht so. Sie blickt sich um.

„Und jetzt?“

Abdul blickt sie fragend an.

„Was und jetzt?“

Wie wäre es mal mit ausatmen?

„Wo ist der Rauch?“

Bilde ich mir das ein, oder entweicht da Rauch aus ihren Ohren? Tatsächlich. Dann öffnet sie den Mund und rülpst so laut, dass die schon sehr lauten RnB-Beats in dem Laden übertönt werden. Viele Augenpaare richten sich amüsiert bis empört auf die alte Dame. Abdul schüttelt den Kopf und wendet sich anderen Gästen zu.

Zum Glück ist unser Tisch ein paar Meter entfernt von dem peinlichen Schauspiel. Ich lehne mich unauffällig zurück und betrachte interessiert den Kristallleuchterverschnitt an der Decke und den Ausschnitt meiner Begleitung und paffe dabei vor mich hin. Nach beruhigender Minze und fruchtigem Erdbeerkaugummi habe ich jetzt die Geschmacksrichtung geheimnisvoll gebrannte Paranuss ausgewählt. Laetizia, meine Begleitung heute Abend, hat sich für Origami mit weißem Pfeffer entschieden. Das hört sich interessant an. Genauso wie Caramel mit geflochtenem Salz oder Wasabi mit feuchtem Heu. Muss ich nachher auch mal probieren. Es gibt unzählige abgefahrene Geschmacksrichtungen auf der Karte. Die meisten hören sich an, als ob sie ein ziemlich bekiffter Übersetzer vom Türkische ins Deutsche übersetzt hat.

Die Stunden vergehen angenehm langsam. Gäste gehen, neue Gäste kommen. Nur die Seminarteilnehmer bleiben sitzen und arbeiten sich gezielt durch das Angebot auf der Karte. Es ist schon kurz nach zwölf, als sich Abdul genötigt fühlt, die interkulturell interessierten Teilnehmer, von denen einige schon sehr blass oder betrunken oder beides sind, nochmals auf die richtige Handhabung der Wasserpfeife hinzuweisen.

„Es kommt nicht darauf an, möglichst lange zu ziehen, den Rauch tief zu inhalieren und dann die Luft anzuhalten. Paffen sie gemütlich und genießen sie das Zusammensein mit ihren Freunden. Darum geht es bei der Wasserpfeife.“

Zu spät. Am Nachbartisch sackt ein Teilnehmer zusammen und fällt auf den Schoß der jungen Türkin am anderen Nachbartisch. Diese kreischt auf und der ihr gegenüber sitzende Freund springt sofort wutentbrannt auf und fordert den Übeltäter auf, augenblicklich den jungfräulichen Schoß seiner Freundin freizugeben. Sonst könne er für nichts garantieren. Zwei Kellner heben den kreislaufkollabierten Wasserpfeifenseminaristen vorsichtig wieder an seinen Platz. Eine Kellnerin namens Ügülmü, oder so ähnlich, es war ja schon spät, bringt ein Glas Wasser und fragt, ob alles ok sei. Der blasse Mann nickt vorsichtig, erbleicht erneut und setzt sich schleunigst in Richtung der Toiletten in Bewegung.

„Klaus! Klaus-Günther, wassn los mit dir? “

ruft Frau Lasse-Puztusski lallend dem ungewollt schlagseitig gewordenen Mann hinterher. Aufstehen und helfen geht wohl nicht mehr. Sie ist mittlerweile beim zehnten Kölsch plus X angelangt und pustet voller Verachtung in den Schlauch des rauchproduzierenden Drogenkonsumvehikels. Das Wasser am Boden ihrer Wasserpfeife blubbert und der im Innern der Wasserpfeife angesammelte Rauch entweicht aus der Öffnung auf der anderen Seite und nebelt die zwei jungen Pärchen am Nachbartisch gründlich ein. Diese blicken irritiert über den Einnebelungsversuch rüber zu der Nebelwerferin. Die erfahrene Seminarleiterin sieht den ungewollten Blickkontakt als krassen Affront an.

„Was guckt ihr so doof? Das ist der Geruch nach überreifer Maracuja. Die fault schon. Wie die meisten Deppen hier in dem Laden. Das ist eine total schädliche Droge! Seid ihr überhaupt schon volljährig? Ihr habt doch bestimmt was Illegales in euren Pfeifen. Ihr Pfeifen.“

Jetzt kommt die Pädagogin bei ihr durch. Das lässt einer der sehr jungen und sehr bärtigen Jungs mit dicken Armen nicht auf sich sitzen.

„Abgefüllte Frau, geh weg, ej. Misch disch nisch ein bei uns.“

„Das heißt: Misch dich nicht ein. Mischen darfst du deine süßen bunten Kindergartencocktails mit viel Milch. Dann wird vielleicht noch was aus dir, du fetter 50-Pfennig-Verschnitt.“

Ich muss grinsen. Sie meint bestimmt den Rapper 50 Cent. 50 Pfennige kennt der angesprochene junge Mann bestimmt nicht mehr. Dafür ist er zu jung. Trotz ihres Pegels betont sie die einzelnen Buchstaben sehr deutlich. Der Angesprochene antwortet lässig.

„Was willst du? Dicht, oder was? Kämm dich mal quer, oder was!?“

Sein Kumpel und die zwei Mädels am Tisch lachen. Frau L-P zeigt dem halben Dollar daraufhin den Mittelfinger. Das wirkt. Dieser ist sofort auf 180.  Er ballt die Fäuste, will aufspringen und die Sache anderweitig klären. Er bemerkt aber rechtzeitig das grundsätzliche Problem seines Vorhabens. Kurz: Er weiß nicht so recht mit der seltsamen Frau umzugehen. Fragend blickt er den mittlerweile auf die Situation aufmerksam gewordenen Abdul an. Der fackelt nicht lange und beendet das Seminar abrupt.

„Es reicht! Ich glaube sie haben für heute genug über die Wasserpfeife und ihre Vorzüge gelernt. Es wird Zeit, nach Hause zu gehen. Die letzte Bahn der KVB wartet nicht auf sie.“

Die pädagogische Leitung des Seminar will etwas entgegen, aber der Zeigefinger des schwarz gekleideten Shisha-Barbesitzers gebietet ihr Einhalt. Dann geht es ganz schnell. Ügülmü bringt die Jacken, ein paar Euronen wechseln den Besitzer und eine ziemlich derangierte Seminargruppe wankt aus der Shisha-Bar.