Mir reicht´s mit Regeln. Man muss auch mal gezielt über die Stränge schlagen. Heute werde ich gegen die Regeln verstoßen. Hier und jetzt bewege ich mich im zweiten Stock eines großen, räumlich sehr großzügigen Gebäudes in der Nähe des Kölner Doms. Rechts von mir führt eine sehr ästhetisch konzipierte Wendeltreppe in die unteren Etagen. Vor mir ist ein Geländer, hinter dem der Blick ungehindert auf den offenen Ausstellungsraum im Erdgeschoss, einen Teil des empfehlenswerten Cafés und die breite Treppe, die vom Erdgeschoss in die erste Etage führt, fällt. Diese sehr breite Treppe da unten bietet viel Platz für viele Menschen. Oder genug Platz für einen Flüchtigen, der anderen Menschen, die ihn fangen wollen, ausweichen will. Es ist gut, einen Plan zu haben.
Links führt eine Tür in die sehr empfehlenswerte Ausstellung über Peter Behrens. Der Mann ist ein Vorbild. Er hat sich auf nichts festlegen lassen. Er war Architekt, Designer, Grafiker und vieles mehr. Und er war gut in jedem Bereich, in dem er gewirkt hat. Und er hat mehr als nur Sinn für Ästhetik und Funktionalität bewiesen. Im heutigen so bequemen Schubladendenken würde so jemand wohl zwangsläufig anecken. Weil er nicht in Schubladen passt. Weil er wiederum in zu viele Schubladen zu passen scheint.
Es ist warm hier drin, fast schon schwül. Draußen regnet es bei fast 25 Grad. Die Ausstellungsräume sind temperiert. Hier, im, wie heißt das eigentlich?, erweiterten Treppenhaus, Zwischenraum, Ausstellungsvorraum, ist es feucht-warm. Ich transpiriere leicht.
Ich wird das ganz gemütlich angehen. Hinter mir ist eine bequem aussehende Sitzgelegenheit, ein Sofa mit Rückenlehne. Im Raum dahinter können Kinder nach Herzenslust malen, während sich ihre Eltern die Ausstellung ansehen. Ich setze mich mit Blick auf das Geländer und den Aufzug hinten rechts hinter dem Ausschnitt im Boden. Mir fällt gerade nicht das passende Wort für diese große Öffnung ein. Vergebt mir, O werte Leser, ob dieser Ungenauigkeit. Bald wird es präziser.
Das sitzen tut gut. Ich bin sofort entspannter. Sitzen ist ja angeblich das neue Rauchen. Sitzen ist böse. Hat irgendein Vollpfosten medial sehr wirksam mitgeteilt. Ich sage: sitzen, hier und jetzt in diesem Museum, bei diesen Temperaturen, ist sehr angenehm. Und: Das Raumgefühl hier ist wirklich toll. Allerdings merkt man in den Ausstellungsräumen schon sehr deutlich das Alter des Gebäudes. Die Luft ist schwer und die teilweise über hundert Jahre alten Ausstellungsstücke verströmen diesen typischen Geruch von alten Möbeln. Aber die Ausstellung ist nichtsdestotrotz sehr empfehlenswert.
Nochmal tief durchatmen. Der Weg zur Wendeltreppe ist kurz. Der Weg zum Aufzug etwas länger. Den Sprung über das Geländer würde ich nur im äußersten Notfall wagen. Die Zigarre könnte dabei beschädigt werden. Und meine Körperstatik leicht verschoben werden. Ich taste nach der Zigarre in meiner Tasche. Da ist sie, noch in der Plastikhülle, aber schon fachmännisch angeschnitten. Ich führe sie zum Mund. Stopp! Erst daran riechen. Der Kaltgeruch. Der ist ganz wichtig. Langsam hinführen – nicht rennen ist die Devise. Sonst wäre es kein Genuss, sondern schnödes Verlangen oder gar Sucht. Ich sauge den Duft des länglichen Tabaktorpedos förmlich auf. Es riecht nach, klar, Tabak. Dieser ist nicht zu eng gewickelt. Der Duft changiert zwischen würzig und hellem Holz, welches frisch bearbeitet wurde aber natürlich noch unlackiert ist. Ich hatte extra nach einer milden Zigarre im Fachgeschäft gefragt. Komischerweise scheinen alle milden Zigarren in der dominikanischen Republik hergestellt zu werden. Jetzt der Kaltzug. Ich sauge kurz und paffe. Hm, diesen Eindruck wiederzugeben, das ist schwierig. Also, ich würde sagen der Geschmack des Tabaks geht in Richtung Zedernholz, etwas Kiefer (nach einem sommerlichen Regenguss) und dem Geruch im Innern zu leeren Zigarrenkisten. Der letzte Punkt ist natürlich generisch und unpräzise, passt deshalb aber immer.
Eine Frau mit Kind geht an mir vorbei und blickt mich interessiert an. Ich lächle sie und das Kind an. Das Kind winkt mir mit einem grünen Luftballon in der Hand zu. Ich winke mit der rechten Hand in der die Zigarre zwischen Zeige- und Ringfinger locker fixiert ist, zurück. Das Kind strahlt, die Mutter lächelt weil das Kind strahlt. Sie verschwinden im Malraum für Kinder. Ich spüre den Blick der Mutter auf meinem Hinterkopf. Bestimmt hält sie mich für verdächtig. Bin ich ja rein optisch auch. Ein großer Mann, der mit einem pinkfarbenem Hemd und schwarzen Hosen bekleidet ist, einem aufgeklebten hellroten Bart im Gesicht formschön aufgeklebt hat und eine Kappe mit der Aufschrift Feuerwerk – Oh, Oh! im Museum sitzt und an Zigarren schnüffelt. Es gibt ja einen Song namens Feuerwerk, der die songschreiberische IcherzählemitbetroffenerStimmeAlltagssituationenlangsamundwiederholesieimmerwieder-PopÖdnis in diesem Land wunderbar auf den Punkt bringt. Vielleicht hätte ich doch die Sesamstrassenmütze nehmen sollen. Hätte auch besser zum hellroten Bart gepasst.
Ich blicke mich um. Kein Aufsichtspersonal in Sicht. Doch. Da am anderen Ende des Gangs, wo die Leute rauskommen, die die Behrens-Ausstellung gesehen haben. Da steht ein Herr in diesem typischen MuseumsaufseherblauAnzug. Das ist weit weg. Bestimmt so 20-25 Meter. Die muss er erst mal überwinden um zu dem Regelbrecher aufzuschließen.
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