Edgar ist völlig fertig. Aber warum?
„Weißt du, als ich diesen Job vor vier Jahren angenommen habe, war die Welt für mich in Ordnung. Noch. Ich arbeite grundsätzlich gern mit Menschen zusammen, bin gern unterwegs und feiere gern und oft. Grundsätzlich.“
Wie um seine Aussage zu unterstreichen, trinkt er den letzten Schluck aus seinem Glas und stellt es langsam auf dem Stehtisch ab. Mit etwas melancholischem Blick blickt er in das leere Glas und atmet dabei tief ein und aus. Ein Kellner, in Köln Köbes genannt, kommt vorbei, sieht Edgars leeres Glas und will ihm, wie in Köln üblich, ungefragt ein volles Glas hinstellen. Edgar winkt ab.
„Nein, nein für mich nichts mehr. Ich bin nicht im Dienst.“
„Wie, nicht im Dienst?“
entgegnet der der Köbes verdutzt, zuckt mit den Schultern und zieht ab. Er wird erst mal über den Widerspruch in dieser Aussage nachdenken wollen. Im Normalfall sind die Kellner in den Brauhäusern eher schlecht gelaunt. Dieser Köbes macht sich nicht mal die Mühe, diese Vorlage schlecht gelaunt zu kommentieren.
„Wenn du grundsätzlich sagst, dann ist doch was grundsätzlich im Argen.“
Edgar nickt leicht und dreht das leere Glas in seiner linken Hand nachdenklich ein paar Mal um die eigene Achse. Seine Augen sind glasig. Das sind sie aber eigentlich immer, wenn er im Dienst ist. Ist er aber nicht.
„Weißt du, es ist nicht so, dass ich Ruhe brauche oder mich zurückziehen wollte. Das ist es nicht. Du kennst mich. Wenn ich an zwei Abenden die Woche alleine zu Hause bin, dann fällt mir schon die Decke auf den Kopf.“
„Hm, aber was ist es dann? Zufrieden wirkst du nicht so direkt. Bist du überarbeitet?“
Er schüttelt müde den Kopf.
„Ich weiß nicht. Ich liebe meinen Job. Aber seit wir diesen neuen Schwerpunkt in den Sommermonaten entwickelt haben fühlt es sich…ja, so seltsam an.“
Jetzt geht das wieder los. Das Thema nervt mich einfach.
„So, so. Schwerpunkt im Sommer.“
Ich merke, dass ich diese Worte verächtlich aus tiefster Überzeugung ausspreche. So ist es auch gemeint.
„Das war doch eine gute Entscheidung für euch, dieser neue Schwerpunkt im Sommer. Die Läden sind voll, die Touris überfluten die Stadt. Ich muss wegen diesem…Event regelmäßig aus der Stadt flüchten. Worüber beschwerst du dich eigentlich?“
„Das sagst du nur, weil du nicht gerne rausgehst und feierst. Das ist ungerecht!“
„Darf ich dich sanft berichtigen, mein lieber Edgar? Ich feiere sehr gerne, nämlich mit den richtigen Leuten und am richtigen Ort. Dafür muss es nicht mal einen Anlass geben, nicht mal eine Verkleidung.“
Beim Wort Verkleidung zuckt er leicht zusammen. Bei dem sehr komplexen Thema Karneval liegen wir geschmackstechnisch auseinander. Außer Sichtweite sogar. Da gibt es keine Schnittmenge. Er strafft sich wieder etwas.
„Es ist doch wohl in Ordnung, wenn man Geschäft und Vergnügen verbinden kann…“
Ich schneide ihm das Wort ab.
„Geschenkt, das haben wir alles schon unzählige Male durchgekaut. Was ist denn jetzt los mit dir?“
Er blickt mich an. Sein Blick ist so, ich weiß es nicht recht einzuordnen, leer wäre das falsche Wort.
„Ich bin befördert worden.“
Er sagt es ohne Freude in der Stimme. Das verstehe ich aber erst nach meinem freudigen und sehr ernst gemeintem Gefühlsausbruch.
„Das ist doch toll! Ich gratuliere dir von Herzen. Ich gebe einen aus! Was willst du trinken?“
Er grummelt, denkt nach, wägt ab, aber die Entscheidung will nicht gelingen.
„Radler, oder, nein, eher ein Wasser mit Zitrone.“
„Wasser mit Zitrone? Na, wenn das dein Arbeitgeber hört.“
Ich grinse ihn an, winke den Köbes heran und bestelle mit lauter Stimme ein Wasser mit Zitrone und ein Wasser ohne Zitrone. Die Menschen an den Tischen um uns herum, die meisten dürften Touristen sein, blicken amüsiert zu uns rüber. Das gibt es in Brauhäusern wahrscheinlich nicht so oft. Oder doch? Ich bin nicht so oft hier unterwegs. Edgar blickt an die Wand und hält sich die Hand vor das Gesicht. Ich verstehe, er will nicht erkannt werden. Getränk und Funktion gehen hier etwas auseinander.
„Okay, Beförderung hört sich gut an. Mit mehr Gehalt und so?“
Er nickt.
„Ja, und nicht zu knapp, aber…“
„Aber was?“
Er atmet schwer aus. Dann greift er in die Innentasche seines Jacketts und zieht eine kleine Pappschachtel heraus. Neuer Job, neue Visitenkarten, ist klar. Umständlich friemelt er eine Karte raus und schiebt sie über den Tisch. Ich nehme die Karte, halte sie mit beiden Händen und lese den Titel laut vor.
„Mitglied der Geschäftsführung? Das ist ja Klasse! Warum bist du dann so schlecht drauf? Das ist doch ein toller Karriereschritt.“
Ich schlage ihm auf die Schulter. Er guckt gequält zu mir.
„Das ich von dir mal an ein Lob kriege! Vor einem Jahr hast du mal geschrieben, wir seien die Seuche des kölnischen Sommers.“
„Das stimmt ja auch nach wie vor. Frag mal die Anwohner, die in der Nähe eurer Events wohnen. Ich habe kürzlich mit einer Anwohnerin am Ring gesprochen. Die weiß am Samstagabend nicht mehr, ob jetzt Karneval, Junggesellinnenabschied oder Jahrestag rheinischen Alkoholikerverbände ist. Oder alles gleichzeitig. Und überall würden diese tiefergelegten Nuttentransporter rumfahren.“
„Mann, ich kann es nicht mehr hören. Da wird halt gefeiert und getrunken. Das ist gut für die Stadt, dass bringt Geld und Arbeit.“
„Ja, ganz viel Arbeit für die Straßenreinigung. Das Mallorca im Rheinland.“
Ich lache, er verdreht die Augen. Früher hätte er jetzt lange mit mir gestritten. Hat er resigniert?
„Edgar, im Ernst. Was ist los mit dir?“
Wieder atmet er lange aus.
„Verstehst du nicht? Ich muss jetzt bei allen Veranstaltungen auftauchen. Bei ALLEN! Die Kundschaft erwartet das. Und ich hatte vorher schon wenig Freizeit.“
„Geschäftsführer müssen mehr repräsentieren, das ist mir schon klar. Kontakte aufbauen und pflegen. Das hast du bisher super hinbekommen. Und das wird auch so bleiben.“
Ich proste ihm mit dem Wasserglas zu.
„Das mache ich auch gerne. Aber es ist eben auch viel Arbeit. Nein, Arbeit ist es nicht. Es ist eher so wie…“
Der Satz endet ohne das Wie. Er gähnt und schaut auf die Uhr.
„Ich muss los. Morgen früh ist Treffen mit der Stadt wegen der Orga.“
„Dann wird es Zeit. Okay, ich lade dich ein. Zur Feier des Tages.“
Er lächelt mal. Das ist heute Abend die Ausnahme. Der Köbes kommt zum Tisch, rechnet auf seinem bierfeuchtem Papierblock zusammen und 8 Euronen wechseln den Besitzer. Dann sieht der Kellner die Visitenkarte von Edgar auf dem Tisch. Ein kleines Bild eines zufrieden lächelnden Edgar ist darauf.
„Mitglied der Geschäftsführung? Bei Suff im Sunnesching? Dann sind Sie ja sowas wie Chef von das Ganze hier.“
Er nickt Edgar anerkennend zu, räumt die leeren Gläser auf sein Tablett, wischt schnell den Tisch mit einem müffeligen Tuch ab und verschwindet. Edgar blickt ihm hinterher.
„Hast du das gehört? Du bist Chef von das Ganze hier.“
Edgar grummelt.
„Nix wie weg hier.“
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