Der Sommer in Köln ist anstrengend. Jeden Tag gibt es im Umkreis von 5 Fußminuten bis 10 Fahrradminuten ungefähr 50 brauchbare Partys, Konzerte, Events oder was auch immer der Mensch zur Ablenkung und Unterhaltung braucht. Da müssen jeden Tag Entscheidungen getroffen werden. Diese Vielzahl an Optionen hat man sonst nur beim Online-Dating oder in der Stadtbibliothek. Aber das ist heute alles viel zu aufwendig. Deshalb habe ich mich heute spontan für eine Elektroparty in einem nahen Park entschieden. Ich glaube jedenfalls, dass das hier eine Elektroparty ist. Der Bass bollert jedenfalls sehr ordentlich. Nicht weit entfernt kreist eine gut gelaunte Menschenmenge tanzend und schwitzend um sich selbst unter einer schweren Wolke aus Rauchwaren. Der Tanzstil der Elektrosommertanzenden changiert zwischen ruppigem Elektro-Ausdruckstanz und hektischer, sehr individueller Wespenabwehr unter Rauchwareneinfluss. Irgendwo dahinter muss ein DJ unter einem weißen Zeltdach vor sich hin mixen. Das wirklich angenehm hörbare Ergebnis liegt irgendwo zwischen Ambient, Trance und Techno. Also doch Elektro. Bei diesen elektronischen Musikstilen bin ich Konsument ohne jede Fachkenntnis.
Jetzt liege ich hier auf einer Decke, starre in den blauen Himmel, mein Kopf liegt auf den Beinen meiner süssen Begleitung, ich esse mundgerecht zugeschnittene Teile von Honigmelonen sowie Teigtaschen mit unbekannter Füllung und genieße dazu unterschiedliche Kaltgetränke in unterschiedlichen Graden der Kühlung. Und überlege, wie ich mit dem erheblichen Gurkenüberschuss in meinem Kühlschrank umgehen soll. Heute Morgen war ich nämlich sehr empfänglich für Sonderangebote vom Gemüsehändler. Jetzt liegen fünf deutsche Gurken im Gemüsefach meines Kühlschrankes. Ein Kilo Bananen für einen Euro ist ja schon Standard, fünf Gurken für einen Euro sind die absolute Ausnahme. Hoffentlich gibt es bei übermäßigem Gurkenkonsum keine negativen Begleiterscheinungen für den Körper. Dieser Gemüsekauf war wirklich ungeplant. Die Verlockung war einfach zu groß. Ein Euro für fünf ausgewachsene deutsche Gurken ist schon ein Wahnsinnsdeal.
Ich sollte die Sache jetzt aber mal rational betrachten und bewerten. Fünf Gurken sind ziemlich genau 50 Prozent meines durchschnittlichen Gurkenverbrauchs pro Jahr. Allerdings esse ich grundsätzlich zu wenig Gemüse und Grünzeug. Eine gute Gelegenheit also, die Ernährungswaage wieder in den Ausgleich zu bringen. Wie kann das im Detail aussehen? Ich werde wohl kurzfristig eine große kalte Gurkenschale produzieren müssen. Passt gut bei der Hitze. Und einen richtig großen Gurkensalat mit Jogurt und leckeren Gewürzen anrichten. Fehlt allerdings noch der Jogurt und die leckeren Gewürze. Jogurt verwende ich so gut wie nie in der Küche.
Gibt es nicht Cocktails in denen dekorativ Gurkenstücke schwimmen? Das geht nicht, das dauert ewig bis dann die Gurken aufgebraucht sind. Und ich mag sowieso keine gurkenhaltigen Cocktails. Das ist bei den hohen Temperaturen auch bestimmt nicht unschädlich. Es muss doch noch andere Optionen geben. Klar, wenn ich jetzt mein Schlauphone raushole, könnte ich zeitnah unzählige Vorschläge für Gerichte mit Gurken bekommen. Dazu müsste ich aber meinen rechten Arm bewegen und in der rechten Tasche der mittelkurzen Hosen nach dem Handy kramen. Das würde die sehr entspannte aktuelle Liegeposition beeinträchtigen. Ich lass das lieber. Man muss auch mal auf die eigenen vorhandenen Ressourcen zurückgreifen und diese ausschöpfen, bevor schon wieder das Netz befragt wird.
Natürlich könnte ich auch einfach ein paar Menschen in meinem Freundeskreis ein paar Gurken aufdrängen. Ich meine natürlich schmackhaft machen. Ich muss ja nicht das ganze Gemüse selber aufbrauchen. Abgeben und teilen ist doch grundsätzlich was Schönes. Dann haben noch mehr Menschen was von meinem Gurkendeal.
Ein Fußball rollt auf die Decke und wird von meinem linken Fuß abgestoppt. Ein braungebrannter Typ mit Rasta-Wuschelfrisur kommt vor dem Decke abrupt zu stehen und grinst mich an. Ich grinse mit Honigmelone im Mund zurück und kicke den Ball wieder zurück in Richtung des verdorrten gelben Rasens. Der Typ hebt den Daumen und schon balgen sich wieder fünf, sechs Hobbyfußballer in einer Staubwolke um den Ball. Bei jedem Schuss nach irgendwo wird ein paar Grashalmen mehr der Garaus gemacht. Jetzt bin ich ganz raus aus dem Gurkenkonzept.
Es wird immer voller hier. Obwohl die Party seit dem frühen Nachmittag läuft, kommen immer noch Menschen vom nahen Parkplatz und der U-Bahnstation her geströmt. Ein paar Decken und Besuchern weiter sitzt ein sehr großer Hund mit hellbraunem Fell und blickt entspannt auf seine wuselige Umgebung. Sein Wassernapf ist gut gefüllt. Alle paar Minuten reicht ihm sein dösendes, großflächig tätowiertes Frauchen ein Leckerchen. Bei diesem kulinarischen Angebot wird die Musik und der seltsame Geruch zur Nebensache. Mit Melone kann ich den bestimmt nicht ablenken. Er gähnt. Ich auch. Die Hitze macht müde. Er hat ein grünes Halsband. Das dürfte ein kräftiges Gurkengrün sein. Ich trinke das letzte Schluck Radler aus der Plastikflasche. Das ist schon viel zu warm und schmeckt dadurch noch süßer. Der erhoffte Erfrischungseffekt bleibt aus. Im Gegenteil. Ich gähne erneut. Eine Hand streichelt mir sanft über die Stirn.
„Mach ruhig mal die Augen zu. Ich passe auf, dass dich niemand klaut.“
Genau. Einfach mal die Augen schonen. Rrrrchhhhh…
Ich wache nach einem entspannten Schläfchen wieder auf. Mein eigenes, wohl etwas sehr lautes Schnarchen hat mich geweckt. Die Leute auf der Decke gegenüber grinsen mich frech an. Einige lachen sogar.
„Tja. da guckt ihr.“
Ich muss mich erst mal sortieren. Ein leerer Becher wird mir von hinten vor die Nase gehalten.
„Gut geschlafen? Hier würde jetzt gut eine Berliner Weisse mit Waldmeister reinpassen.“
Ich betrachte den leeren Becher ausgiebig.
„Das passt doch gar nicht. Der Becher ist viel zu klein. Da muss ich ja wieder die Hälfte direkt beim Ausschank austrinken. Und dann finde ich nicht zurück, ihr müsst mich suchen, macht euch unnötig Sorgen…“
Die junge Frau lässt aber nicht locker. Ich bekomme einen Kuss auf die Stirn.
„Das schaffst du. Die geben dir da gerne einen zweiten Becher.“
Es hilft alles nichts. Ich muss mich bewegen und alle fortgeschrittenen Gedankenspiele über Gurkenverwertung verschieben. Zwei Hände stoßen mich von hinten sanft an. Na gut. Unter Aufbietung aller Kräfte raffe ich mich auf und gehe langsam über die stark bevölkerte Wiese in Richtung Getränkeverkauf und Outdoor-Tanzflur. Die Gurken müssen noch etwas warten. Die sind ja auch ein paar Tage haltbar.
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