Bereit, auf meinem Schreibtisch liegen meine Notizen mit Ideen für neue Texte. Eine dieser Ideen will ich in eine unterhaltsame Geschichte ausweiten. Es geht um die Wahrscheinlichkeit bei einem Besuch einer Veranstaltung auf dem Kölner Heumarkt von einem umkippenden Toilettenhäuschen erschlagen zu werden. Aber leider lasse ich mich beim Schreiben zu leicht ablenken. Ich blicke aus dem Fenster meines Wohnzimmers in die Dunkelheit und ebendieser Blick fällt auf ein Fenster in einem Haus gegenüber. Ich sehe erst eine, dann eine zweite Frauen, die sich tanzend am Fenster vorbei bewegen. Das ist kein Witz, das ist eindeutig live. Die eine hat einen roten Aerobicanzug an, die andere die pinkblaue Variante. Sie hüpfen mehrere Minuten regelmäßig am Fenster vorbei und sehen dabei bemerkenswert gut gelaunt, wenn auch etwas angestrengt, aus. Ihre Arme sind dabei immer in Bewegung, immerzu drehen sich die Arme, werden gesenkt, gehoben im Kreis gedreht oder markieren mir völlig rätselhafte Bahnen für mir völlig unbekannte Aerobicübungen. Vielleicht imitieren sie den Flügelschlag einheimischer Vögel um damit deren Fitnessgrad zu erreichen. Oder die eigene Kalorienverbrennung soll angeregt werden. Das ist ja, glaube ich, der Sinn und Zweck hinter Aerobic.
Ich konnte schon in den Achtzigern wenig mit Aerobic anfangen. Die Kleidung, die Frisuren und die Bewegungsabläufe der aeroben und meist weiblichen Anhängerinnen waren mir immer suspekt. Hautenge Anzüge in grellen Leuchtfarben, Schweißbänder auf der Stirn und den Handgelenken und diese komischen Stulpen an den Schienbeinen waren die modischen Vorboten der später folgenden Fitnesswelle. Und gute Beispiele für die trendigen Grausamkeiten eines an modischen Grausamkeiten nicht eben sparsamen Jahrzehnts. Hinzu kam die Musik, die zwar oft laut und rhythmisch war, sich aber klanglich an schlimmen akustischen Unfällen der Disco-Ära orientierte.
Die Zwei da drüben sind gut drauf. Das ist gerade schon ein wenig wie Kino. Ob die wissen, dass ich ihnen zusehe? Bestimmt, ich wohne nur eine Etage tiefer als die da drüben. Aber wahrscheinlich stehen jetzt einige Leute in den Etagen unter und über mir am Fenster und wundern sich über das unangekündigte sportliche Unterhaltungsangebot von gegenüber. Besser ich wende mich wieder dem Text zu. Auch wenn es schwer fällt.
Mein Handy piept. Ablenkung, schon wieder. Sofort erliege ich der Versuchung und sehe nach, was das Piepen ausgelöst hat. Eine Nachricht in Kurzform. Aha, eine gute Freundin zieht demnächst weg. Weg aus Köln, Richtung Norddeutschland. Berufliche Gründe. Das ist bedauerlich. Denn neben dem Verlust an direkter Kommunikation mit ihr wird auch ihre ansehliche Weißweinsammlung mit in den Norden ziehen. Das Bedauern wird noch größer. Ich überlege, ob ich mich zur Reduktion des Weinangebotes vor dem Umzug anbieten soll. Dann könnten die Umzugs- bzw. Transportkosten bestimmt etwas reduziert werden. Aber das wäre verfrüht. Noch ist Fastenzeit, somit ist strenge Alkoholkarenz angesagt und ich möchte nicht aufdringlich erscheinen. Schließlich beschäftigt sie diverse Mundschenke und Traubengärungsspezialisten zur Aufrechterhaltung des Wertes ihrer Weinsammlung. Das hat mir zumindest mal ein bekannter Sommelier hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt.
Vor einiger Zeit war ich mal auf ihrem Anwesen zu Besuch. Ich durfte sogar die zu trinkende Flasche Wein auswählen. Es war ein Riesling, halbtrocken, das Etikett war bunt und der Name des Weinguts klang für mich nach Südschweden. Der Korken wurde aufwendig von einem Kellermeister mit einem speziellen Korkenzieher entfernt, der Wein dekantiert und bei einer Temperatur von exakt 12,473 Grad Celsius elegant in bauchigen Gläsern serviert. Und zwar auf der großzügigen Terrasse des Anwesens mit Blick auf eine sommerliche Wiese, auf der mehrere Kühe grasten. Irgendwann kamen die Wiederkäuer zu uns, stellten sich direkt an den Rand der Terrasse und betrachteten völlig gleichgültig das degustative Ereignis vor ihren Augen. Ich habe selten Kühe so aus der Nähe beobachten können. Wobei sich beobachten bei völlig regungslos dastehenden Kühen etwas komisch anhört. Nämlich sehr statisch. Vielleicht haben die so was Ähnliches gedacht wie ich, als ich vorhin die beiden sportlichen Nachbarinnen am Fenster gegenüber erblickt habe. Wobei ich damals weniger bunt angezogen war und fast bewegungslos auf einen bequemen Holzstuhl saß. Und Musik lief auch keine. Und Kalorien habe ich bestimmt auch nur sehr wenige verbraucht.
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