Am Nachbartisch ist Highlife.
„Marie-Claire, es reicht jetzt.“
Die kleine Marie-Claire, die gerade noch fröhlich, wenn auch schief und disharmonisch, ein Lied über fleißige Bienchen gesummt hat, verstummt. Sie schaut ihre Mutter ein paar Sekunden vorwurfsvoll und mit kindlichem Nachdruck an und beginnt zu schluchzen. Ihre Erziehungsberechtigte hebt warnend den Zeigefinger.
„Ich will keine Tränen sehen. Mach hier bitte keine Szene. Sonst sag ich das Papa heute Abend.“
Der letzte Satz kam etwas leiser, als die ersten beiden. Offenbar ist Papa strenger als Mama. Das ist das Signal, jetzt endgültig in Tränen auszubrechen. Das tut Marie-Claire nun auch mit Inbrunst. Ihre Erziehungsberechtigte reagiert mit dem Anzünden einer Zigarette. Eine Zigarette in angespannten Situation entspannt. Und entspanntes paffen ist ein schöner Kontrast zu dem Gurken-Limetten-Zitrone-Smoothie, den sie vor sich stehen hat.
Warum heißt der Smoothie Gurken-Limetten-Zitrone? Dem Namen nach müssten mehrere Gurken und Limetten, aber nur eine Zitrone in das Smoothie-Gebräu eingeflossen sein. Dann müsste das Glas aber deutlich größer sein, um die erhebliche Menge des geschredderten Gemüses und der Trendfrüchte zu fassen. Ist es aber nicht. Wahrscheinlich ist der geschmackliche Einfluss des Saftes von mehr als einer Zitrone auf die Gurken und Limetten zu dominant, auch wenn diese zahlenmäßig deutlich überlegen sind. Dann reicht auch ein nulldrei Glas völlig aus um ein sommerlich-gesundes Mixgetränk zu kredenzen.
Mein kaltes Mixgetränk heißt Erdnussbutter-Bananen-Smoothie und da ist drin, was auf der Karte angekündigt wurde: Ein Glas Erdnussbutter, zwei Bananen und etwas Milch. Natürlich ist da kein ganzes Glas Erdnussbutter drin, sonst wäre der Preis für den Smoothie nicht mehr marktgerecht, aber Fülle und Dichte deuten auf ein gut gemeintes Mengenverhältnis der Zutaten zugunsten des nach kalten Mixgetränken Dürstenden hin. Ohne die Milch hätte ich ein Glas kaum streichfähige Erdnussbutter mit einer feinen Bananennote bekommen und würde jetzt mit einem Eislöffel versuchen, die Kalorienbombe zu entschärfen. Eine Aufgabe, die mir für einen halbstündigen Besuch im Café meiner Wahl zu opulent erscheint.
Leider umweht der dichte Gestank des verwesenden Obstgemüsemischgetränkes vom Nachbartisch meinen von der Sonne beschienenen und von frühsommerlich-sanften Wind umstreichelten Platz am Rande der Tischreihe vor dem Café. Der Wind weht leider erst über den Tisch meiner Nachbarin und dann zu mir. So war der Aufenthalt in diesem Café nicht gedacht.
Ein Herr, der am linken Nachbartisch der Frau mit Kind sitzt, spricht diese an.
„Entschuldigen Sie, ich habe den Namen ihrer Tochter gehört. Marie-Claire ist ein wirklich sehr schöner Name.“
Er lächelt. Er riecht ihren Smoothie nicht und findet die Frau deshalb aufgrund niederer Gründe wie ihrem Aussehen und den Namen ihres Kindes interessant. Eigentlich wollte ich die Frau gerade bitten, sich mit ihrem muffigen Getränk woanders hinzusetzen oder die grünliche Flüssigkeit in einen geruchsdichten Behälter zu verschließen und an einem geeignetem Ort zu entsorgen. Die rauchende Gemüse-Obst-Mischgetränk-Konsumentin schaut den Herren am Nachbartisch, zunächst regungslos durch getönte Sonnenbrillengläser an, zieht genussvoll an der Zigarette und ascht etwas Zigarettenasche in den Aschenbecher, der zwischen dem grünen, üble Dämpfe ausschwitzenden Kaltmischgetränk und der gebraucht aussehenden Barbiepuppe ihrer Tochter steht. Barbies Kopf ist nach hinten gedreht. Das Role Modell für Kinder trägt einen abgenutzten hellblauen Badeanzug, der an den Rändern kiesgrubenhaft bräunlich eingefärbt ist.
Die Frau:
„Danke. Wir haben uns lange überlegt, wie wir die Kleine nennen wollen.“
Der Herr möchte ernsthaft die Rauchende in ein Gespräch verwickeln.
„Sind sie in der Modebranche tätig? Der Name ihrer Tochter und ihr sehr schickes Outfit deuten auf Geschmack und den Willen zur Abgrenzung gegenüber modisch unterentwickelten Menschen hin.“
Die Rauchende schaut an sich herunter und blickt den sie gut findenden Mann an.
„Ich finde nicht, dass ich heute übermäßig hipp angezogen bin. Der Name meiner Tochter hat mit dem gleichnamigen Modemagazin nichts zu tun. Ich verbitte mir diese Vergleiche.“
Der Herr ist vom scharfen Ton der Frau unbeirrt.
„Wenn sie heute sagen, heißt das doch, dass sie sonst sehr wohl sehr modisch aktuell gewandet sind.“
Fortsetzung folgt.
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