In der kalten Jahreszeit ändern sich manche Abläufe, ohne dass dies bewusst so entschieden worden wäre. Zum Beispiel essen wir immer öfter sehr spät erst zu Abend. Es hat sich, wie gesagt, einfach so entwickelt. Wenn der gut gekühlte Wein vom Balkon reingeholt wird und das Essen um neun oder halb zehn abends auf dem Tisch steht, hat sich schon etwas Müdigkeit im Körper eingeschlichen. Seit halb fünf ist es dunkel, der Mangel an Tageslicht dämpft die Aktivitätslust doch etwas. Nach einer guten halben Stunde ist das Essen genossen, die Wärme im Zimmer befeuert die Müdigkeit, der zweite Wein war auch nur kurz im Glas, und ein stetiges Gähnen und der Wunsch, sich im Sessel bequem einzurichten, macht sich breit. Zum Schlafen gehen ist es zu früh. Die nahe Couch steht bereit, die gesättigten Leiber aufzunehmen. Kann, soll man noch einen abendlichen Spaziergang einlegen, die Verdauung unterstützen und der Trägheit etwas entgegensetzen? Das Für und Wider wird abgewogen, wobei das Wider immer leicht im Vorteil ist, weil mit jeder Sekunde die Bettschwere sanft ansteigt. Aber die Verlockungen des Spazierganges halten dagegen: Eine leckere Gutenachtzigarre könnte das späte Abendessen abrunden, die kalten Hände eines lieben Menschen können draußen besser und wirkungsvoller erwärmt werden und die nächtliche Stille in den Nebenstraßen der nächtlichen Großstadt will auch genossen sein.
Das alles zählt deutlich mehr, als die Übergangszeit auf der Couch zu verdämmern. Dafür wird es noch genügend Möglichkeiten geben. Also los, schnell die Schuhe anziehen, die dicke Jacke überwerfen und schnell das viel zu warme Treppenhaus durchschreiten.
Die kalte Luft vor der Haustür wirkt wie ein sanfter Schock und vertreibt sofort die Müdigkeit. Die späte, sorgsam ausgesuchte Zigarre wird angeschnitten, kurz der Geruch des Tabaks erfasst und entzündet. Der duftende blaue Rauch wetteifert mit der weißen Atemluft beim Ausatmen. Natürlich gehe ich mit der Zigarre in der rechten Hand rechts von ihr und blase den Zigarrenrauch achtsam nach rechts. So hat jeder das Beste vom Abend und wir sind doch zusammen unterwegs.
Entspannt schlendern wir so Hand in Hand durch die Straßen. Die Stille, die leeren Plätze, das Zusammensein, das alles ist unbezahlbar. Nur wenige Leute sind unterwegs, entweder werden Hunde ausgeführt oder eine letzte Zigarette vor der Haustüre geraucht. Ein paar wenige Hundebesitzerinnen mit ihren stetig schnüffelnden Tieren halten respektvoll Abstand. Um diese Zeit ist niemand mehr mit Maske unterwegs.
Die Zigarre ist köstlich und sie passt wunderbar in die Reihe spätes Essen, guter Wein und Spaziergang. Zwischen den Zügen reden wir über die schönen, auch im Winter liebevoll gepflegten Vorgärten und die weihnachtlich geschmückten Fenster. Immer wieder gibt es neue Straßen zu entdecken und diese zu durchschreiten. Noch ein Umweg und wir erreichen über einen bisher unbekannten Innenhof bekanntes Terrain, eine hell erleuchtete Verkehrsader. Eine Straßenbahn fährt vorbei und steuert auf die nur wenige hundert Meter entfernte Endhaltestelle zu.
Das letzte Drittel der Zigarre ist angebrochen, der bisher würzig-hölzerne Geschmack wandelt sich in einen bitter-pfeffrigen. Ein letzter achtsamer Zug und der ausgeglühte Stumpen wandert in den Mülleimer.
Wir erreichen die Haustür wieder nach einer sehr schönen Dreiviertelstunde. Kaum sind wir in der gut geheizten Wohnung, die Jacken hängen am Bügel, die Schuhe sind verstaut, kehrt die Müdigkeit mit Macht zurück. Schweigend werden die Zähne geputzt und das Licht gelöscht. Ein letzter Blick auf den menschenleeren und noch von ein paar Straßenlaternen erleuchteten Platz vor dem Schlafzimmerfenster, ein Gutenachtkuss und in der ersten Liegeposition fallen die Augen zu.
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