„Fasten? DU??“ Die ersten Reaktionen waren ernüchternd. Gerade hatte ich halblaut im engsten Freundeskreis mein ernstgemeintes Ansinnen geäußert, in den kommenden Wochen auf Süßigkeiten, Fleisch und Alkohol zu verzichten. Schon für die Idee des Verzichts wurde ich gehänselt. Das ist eine Unverschämtheit! Sowas kann auch nur von Leuten kommen, die sich selber nicht unter Kontrolle haben. Die zügellos essen und trinken und ihrem trostlosen Leben mit dem Konsum von Lebensmitteln Sinn verleihen wollen. Und die mich bei verschiedenen Gelegenheiten, wie ausführlichen Grillabenden, live in Aktion erlebt haben. Offensichtlich stehe ich mehr für Genuss anstatt Verzicht. Verstehe ich nicht. Aber dieses völlig falsche Bild von mir kann ich bestimmt ändern. Das dauert etwas. Sagt mir mein Bauchgefühl.

Fasten wird ja irrtümlicherweise oft mit Diät machen gleichgesetzt. Diäten wecken Hoffnungen, funktionieren aber nicht. Zahlreiche Frauenzeitschriften bieten der geneigten Interessent/-in Anschauungsmaterial in großer Fülle. Fasten bedeutet für mich eben nicht, nur von Luft, Liebe und Magerquark zu leben. Wobei das für einen gewissen Zeitraum auch seinen Reiz hat. Sagen wir, für einen halben oder sogar dreiviertel Tag. Wenn man diesen halben oder dreiviertel Tag mit dem richtigen Menschen im Bett verbringt. Danach sinkt mein Blutzuckerspiegel in bedrohliche Tiefen, der Körper schaltet auf Notfallversorgung um und es entsteht Sehnsucht nach einem einfachen Butterbrot. Diese Sehnsucht wird zu Verlangen und schließlich schleppe ich mich mit letzter Kraft und Sternen vor den Augen zum Kühlschrank und leite die Rettung ein. Womit auch die körperlichen Reaktionen in Krisenzeiten erklärt wären.

Fasten bedeutet für mich gewollten Verzicht und raus aus dem Überfluss. Einfach mal „Nein“ sagen. Nein sagen und vor allem, dies auch durchzuziehen braucht Kraft. Ich habe den Fastenbeginn sowieso schon um zwei Wochen verschoben, weil diverse Feierlichkeiten abgearbeitet werden wollten. Ursprünglich war geplant, von Aschermittwoch bis Ostern zu fasten. Beziehungsweise zu verzichten. Etwas Verzicht und Demut können nicht schaden. Die Reste der zum Verzicht anstehenden Lebensmittel in der heimischen Wohnung mussten aber erst vernichtet werden. Diese aufzuheben bis nach der Fastenzeit, dieser Gedanke hatte etwas sehr seltsames für mich. Lieber visuell keine Versuchung zulassen. Warum sieht ein Mann einer Frau hinterher? Weil er wissen will, ob sich ein zweiter Blick lohnt. Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. Ja, ja, bla, bla, bla… . Stimmt schon.

Aber schier unüberwindbare Hindernisse tuen sich dem einsamen Wanderer in unbekannten Landen auf. Wenn ich zu einem Brunch eingeladen bin, fällt es mir schwer alle dargebotenen Speisen nicht auszuprobieren. Die Furcht, einen lukullischen Höhepunkt zu verpassen ist einfach zu groß. Für jemanden der gerne backt, kocht und mit den Ergebnissen andere Menschen bewirtet, ist das kein ganz einfaches Unterfangen. Immerhin habe ich in den letzten Jahren die lange präsente Angst abgelegt, nicht satt zu werden. Oder sogar zu verhungern. Diese Angst kam früher auf, wenn ich länger als vier Stunden nichts gegessen hatte. Ganz früher wurde mir sogar nachgesagt, ich würde unleidlich werden sobald ich Hunger hätte.

Bei Dienstreisen mit dem Auto fuhr mein ehemaliger Chef die nächste Raststätte an, sobald mein Magen hörbar grummelte. Beim Snack zwischendurch berichtete er mir ängstlich, er fürchte eine zu aggressive Verhandlungsführung meinerseits, wenn ich hungrig in die anstehenden Kundengespräche gehen würde. Vor einiger Zeit nahm ich an einem Seminar teil und der „Trainer“ konfrontierte mich mit seiner geballten Menschenkenntnis, wonach ich in der Nähe der Tür sitzen würde, weil ich immer Fluchtgedanken in Menschenansammlungen hätte. Tatsächlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon erheblichen Hunger, sah einer baldigen Nutzung der Rest Rooms entgegen und konnte und wollte einer Diskussion über Fluchtgedanken meinerseits keine neue Nahrung geben. Ich wies auf die fortgeschrittene Mittagszeit hin und flüchtete aus dem Raum. Dies läutete auch für den Rest der Gruppe die ersehnte Mittagspause ein.

Auf Partys muss ich jetzt natürlich die Zeit, die ich früher am Buffet verbracht habe, anderweitig füllen. Also zum Beispiel Gespräche mit Anwesenden führen, die mir teils unbekannt sind. Die Gesprächsthemen sind sehr oft andere Feierlichkeiten, die Freuden des Kölner Karnevals oder der Einfluss des Härtegrades des Leitungswassers auf den Nachwuchs. Alles Dinge, die ihre Berechtigung haben, die für mich jedoch eher mit Fluchtgedanken verbunden sind. Selbst wenn ich nicht in der Nähe der Wohnungs- oder Haustür stehe. Weil diese Themen nur eine geringe Relevanz für mich haben. Karneval interessiert mich nur peripher und dem Härtegrad und der Verkalkung des Kölner Wasser begegne ich durch regelmäßiges Reinigen des Wasserkochers mit Essig. Dann stinkt die Küche etwas nach Essig, ich lüfte einmal durch und fertig. Damit kann ich natürlich bei meinem Gegenüber, der regelmäßig mehrere Kisten Wasserflaschen in den vierten Stock schleppen muss, nicht punkten.

Feierlichkeiten mit netten Leuten sind grundsätzlich immer ok, bergen aber die Gefahr dass dann das Thema Fasten und dessen Sinnhaftigkeit erneut diskutiert wird. Das ist einmal ok, spätestens bei der fünften Wiederholung kommt der aber Gedanke auf, sich ein paar Wochen in eine sehr tiefe Höhle in der Eifel zurückzuziehen. Hat der Gesprächspartner dann noch einen Pappteller voller sehr ansehnlicher Kuchen vor der Brust, gewinnt der Gedanke an einsame Tage in der bitterkalten Eifel eine unglaubliche Sexyness. Verbunden damit ist der Gedanke, sein Gegenüber aus dem Fenster zu stürzen und sich den Inhalt seines Tellers komplett in den Mund zu stecken.

Die Grundidee des Fastens ist wirklich gut. Abstand zum täglichen Überfluss gewinnen, sich auf sich selbst besinnen und wieder lernen auf den Körper zu hören. Alles Dinge, die in der Hektik des Alltags verloren gehen. Übrigens ist der Zucker, der in meinen Kaffee oder Espresso wandert von der Verzichtskategorie Süßigkeiten ausgenommen. Sehr oft esse ich zum nachmittäglichen Kaffee ein Stück Kuchen. Auf den verzichte ich gern, mit gutem Gewissen und ohne zu hadern. Weil ich weiß, spüre und tief in mir die Erkenntnis gereift ist, dass dieser Kuchen jetzt Überfluss bedeutet und mir nicht unbedingt gut tut. Sondern nur kurzfristige Befriedigung niederer Gelüste. Widerlich! Aber leider sehr schmackhaft.

Auf den Zucker im Espresso zu verzichten wäre aber kein Verzicht, sondern eine völlig unverhältnismäßige Einschränkung von Lebensqualität. Die wenigen Minuten des Genusses beim Trinken eines guten doppelten Espresso mit ein paar Gramm Zucker sind Lebensqualität pur. Hier hätte der Verzicht negative Folgen, die die Sinnhaftigkeit des Ganzen in Frage stellen würden.

Also gut, ich faste. Ich übe Verzicht und schleudere dem allgemeinen Überfluss ein beherztes „Nein“ entgegen. Mögen die Erkenntnisse mich erhellen. Ich werde berichten, wo und wann ich mich gefunden haben.

Jetzt mache ich mir erst mal die Reste der Linsensuppe von gestern warm.